Versunkene Inseln
denn nicht? Ich bin nicht so wie sie. Sie konnte es sich leisten, großzügig zu sein. Sie lief keine Gefahr, alles zu verlieren.“ Und dann löste sich meine letzte Selbstkontrolle auf. Ich verbarg das Gesicht zwischen den Händen, schluchzte und wehrte Pauls nervöse Tröstungsversuche ab. Es war eine Art gestaltloses Weinen, zum einen hervorgerufen von mehr als nur mildem Selbstmitleid, zum anderen von Zorn auf Paul und Lonnie und noch mehr auf mich selbst – und auch von dem bitteren Bewußtsein des Vertrauensbruchs. Und sobald mir letzteres klargeworden war, fand mein Schluchzen ein Ende. Ich war so dumm gewesen zu glauben, daß in diesem Verhältnis auch etwas so Altmodisches wie Treue existiert hätte, nicht wahr? Als mir bewußt wurde, wie naiv ich gewesen war, kehrte die Rationalität zurück. Ich wischte mir mit dem Ärmel durchs Gesicht, putzte mir die Nase und beruhigte mich ganz allgemein. Paul war grenzenlos erleichtert über meine Rekonvaleszenz.
„Hör mal, Tia …“
„Nein, sag kein Wort. Leg die Sachen weg, in Ordnung?“ „Natürlich. Bist du zum Mittagessen in der Messe?“ Ich zuckte mit den Achseln und verließ die Tauchkammer, bevor er weitere Bemerkungen von sich geben konnte.
Der letzte Sonnenschein meines Lebens, so mußte ich bei näherer Betrachtung feststellen, verblaßte rasch. Eigentlich hatte ich nicht einmal viel übrig für Paul, sagte ich mir, aber der Gedanke daran, allein und ohne ihn in meiner Kabine zu wohnen, schmerzte dennoch. Ich tröstete mich mit Sprichworten: In der Not frißt der Teufel Fliegen, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – und dann noch mit einem, das ich selbst erfunden hatte: Stolz kann sich nur die Immortalität leisten. Ich drehte dieses Problem hin und her, und meine Gedanken liefen im Kreis – bis ich es leid war und zum Mittagessen hinunterging.
31
Ich zog die Beine meines Naßanzugs über die Oberschenkel und zupfte und zerrte an dem dicken, störrischen Gummi, bis es richtig saß. Ich war fertig damit, Paul in seine Ergkapsel zu helfen. Tobias nahm die letzten Justierungen an Jennys Kraftfeldblase vor und machte sich dann selbst bereit. Lonnie hielt die Checkliste in der Hand und überprüfte Pauls Ausrüstung. Ihre gemurmelten Worte waren die einzigen Geräusche in der ansonsten stillen Kammer. Tobias nickte Jenny zu, als er fertig war. Sie ging die geriffelte Rampe zur Unteren Ebene hinunter und ließ sich am Rand des Tauchschachtes nieder. Ich wand mich ins Oberteil meines Anzugs, kontrollierte Säume und Schnallen, zog die Riemen fest und befestigte die Sauerstoffflaschen und Düsen auf dem Rücken.
Dann zog ich mir das ebenfalls aus Gummi bestehende Kopfteil übers Haar, und Tobias trat hinter mich, strich die Kapuze glatt und suchte nach undichten Stellen, die sich als unangenehm oder gar gefährlich erweisen konnten. Als er diese Kontrolle beendet hatte, schloß ich die Kabel an den hinteren Teil seines Gürtels an, wobei ich sehr darauf achtete, keinen der Anschlüsse zu verwechseln. Die Sicherheit hatte Vorrang vor unserer beiderseitigen Abneigung, und vor jedem Tauchgang überprüften wir mit einem Maximum an Gründlichkeit und einem Minimum an Höflichkeit gegenseitig unsere Ausrüstung. Er trat zur Seite. Ich griff nach den Schwimmflossen und nahm ebenfalls am Tauchschacht Platz. Tobias setzte sich einen Augenblick später und wartete darauf, daß Lonnie seine Gerätschaften auf der Checkliste durchging. Greville auf der Brücke beobachtete uns währenddessen über das Vidsystem. Die in der Luft liegende Spannung war fast körperlich fühlbar.
Jeder der drei Unsterblichen war eingehüllt in ein Netzwerk aus dunkelblauen und roten Kabeln und
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