Vertrau mir deine Sehnsucht an (Der romantische Liebesroman) (German Edition)
Horbach nickte kaum merklich. "Ich merke jetzt schon, dass mir der Abschied nach meiner Urlaubsvertretung ziemlich schwer fallen wird. Kollege Authenried ist ein Glückspilz. Er darf immer hier praktizieren."
"Oh, da irren Sie sich aber gewaltig. Kollege Authenried ist alles andere als ein Glückspilz. Er hat in den letzten Monaten sehr viel Unglück über sich ergehen lassen müssen. Zuerst starb seine Mutter nach langer, schwerer Krankheit, und letzten Sommer verlor er ganz plötzlich seine Frau. Gu-drun starb an einem Wespenstich. Sie war vormittags, nachdem sie ihren damals ungefähr drei Monate alten Sohn Benjamin ins Bett gebracht hatte, in den Garten gegangen, um die Rosen in Ordnung zu bringen. Das weiß man so genau, denn nicht weit von ihr lagen noch die Astschere und eine Hand voll abgeschnittener Zweige."
"Kollege Authenried hat sie gefunden?" Michael dachte an die kurze Erklärung, die Simone ihm schon vor Antritt seiner Arbeit gegeben hatte.
"Eigentlich hätte er den Nachmittag keine Sprechstunde gehabt. Dennoch behandelte er zwei Privatpatienten, denen es schlecht ging. Das hat er sich wohl nie verziehen. Wäre er rechtzeitig nach Hause gekommen, hätte er seiner Frau viel-leicht noch helfen können. Das denkt er zumindest." Der Heilpraktiker nickte bedächtig vor sich hin.
"Sich mit solchen Gedanken im Nachhinein noch das Leben schwer zu machen, bringt nichts", wandte Michael ein. "Aber ich kann es schon verstehen, dass man immer wieder mit dem Schicksal hadert und sich vorstellt, was gewesen wäre, wenn man manches nicht getan hätte."
"Ich bin mir sicher, dass er seiner Frau nicht mehr hätte helfen können, selbst wenn er schon eine Stunde nach dem Wespenstich Zuhause gewesen wäre. Aber er ist davon überzeugt, dass es sein Versagen ist. Seitdem ist aus einem stets gut gelaunten, meist fröhlichen Mann ein zurückgezogener vereinsamter Mensch geworden. Mir tut auch das arme Kind Leid, das unter solchen Umständen aufwachsen muss."
"Ich hatte den Eindruck, er liebt seinen Sohn sehr."
"Natürlich tut er das, über das normale Maß hinaus, wenn Sie mich fragen. Aber ich will nicht über einen Kollegen tratschen. Es ist nur, dass wir alle uns ehrlich Sorgen um den Kollegen Authenried machen. Vielleicht sollten wir eine Hausparty veranstalten, damit er mal auf andere Gedanken kommt."
"Das ist eine wunderbare Idee, und ich bin auch gern be-reit, mitzuhelfen. Vielleicht hat auch das Schicksal ein Einsehen und er kommt völlig verändert aus seinem Urlaub zu-rück", überlegte Michael. Sein Mitleid mit Dr. Authenried, den er eigentlich gar nicht kannte, wurde immer größer. Zu gern hätte er ihm ebenfalls geholfen, aber da gab es wohl für Außenstehende kaum eine Möglichkeit.
"Alles braucht seine Zeit", sagte er. Dann räumte er sei-nen Schreibtisch ab. "So, Feierabend. Sie waren mein letzter Patient."
"Hab den Hinauswurf schon verstanden." Der Heilpraktiker erhob sich schmunzelnd. "Nichts für ungut. Es war ehrlich gemeint." Er reichte dem Orthopäden die Hand.
"Das ist schon in Ordnung, Herr Weeske", sagte Michael freundlich. "Ich möchte sehr gern helfen, nur hab ich nach einer Woche noch viel zu wenig Einblick in alles. Ich hab alle Hände voll damit zu tun, die Patienten kennen zu lernen und dabei keine Fehler zu machen. Aber ich denke, wenn alle Kollegen zu ihm stehen und ihm das auch zeigen, wird er sich vielleicht nicht so allein fühlen. Das wäre zumindest ein großer Schritt nach vorne. Und wenn ich dabei auch etwas tun kann, dann will ich das machen. Allerdings ist mein Dienst hier im Ärztehaus ja schon beendet, wenn Kollege Authenried von seinem Urlaub zurück kommt."
"Das hatte ich nicht bedacht", gestand Dr. Weeske. "Na, wir werden sehen." Er verabschiedete sich und verließ dann eilig das Sprechzimmer. Draußen unterhielt er sich noch kurz mit Simone, die er sehr gut zu kennen schien. Dann, wenige Minuten später, fiel die Tür ins Schloss.
"Herr Dr. Weeske wollte Ihnen nicht den Feierabend steh-len", begann Simone. "Er ist so etwas ähnliches wie der gute Geist dieses Hauses. Wenn jemand in Not ist, dann geht er zu Dr. Weeske. Er weiß meist Rat, hat auch Psychologie studiert. Oft hat er schon helfen können." Die Frau errötete ein wenig. "Sie möchten jetzt losfahren."
Michael nickte. "Ich sollte langsam Schluss machen. Ei-gentlich wäre ich gern noch geblieben, und wir hätten uns noch etwas besser
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