Vertrau mir! - Thriller
Henry achtete nicht übermäßig auf sein Äußeres, wenn er verreiste.
»In diesen Tagen schwitze ich eigentlich nur am Computer«, sagte Luke und trat an den Tisch. Henry stand auf und umarmte ihn etwas linkisch.
»Geh erst mal duschen, dann lade ich dich zu einem anständigen Essen ein. Du hast absolut nichts Essbares im Kühlschrank.« Er lehnte sich zurück und musterte seinen Stiefsohn. »Du bist blass und dünn, und du solltest dich rasieren. Ich hab dir einfach zu viel Arbeit zugemutet.«
»Ich wollte das Forschungsprojekt so gut wie möglich machen. Aber ich fürchte, ich kann dir nicht liefern, was du brauchst.«
Henry ließ sich auf seinen Sessel sinken und setzte die Brille wieder auf. Seine Nase war leicht gekrümmt - er hatte Luke oft erzählt, er habe sich die Nase bei einer Handgreiflichkeit in einer Bar gebrochen, doch Luke wusste, dass Henry noch nie eine Bar von innen gesehen hatte. »Die Informationen, die du mir geschickt hast, waren wirklich sehr … überzeugend.«
»Ich fürchte, das alles ist nur das wirre Gerede von irgendwelchen gehässigen Verlierertypen.«
»Aber man weiß nie, ob aus dem wirren Gerede nicht mehr werden kann. Etwas Gefährliches.«
»Wenn Leute im Internet ihre verrückten Ideen verbreiten, dann hilft das nicht unbedingt dabei, Extremisten zu finden und aufzuhalten, bevor sie gewalttätig werden.«
»Das lass ruhig mich beurteilen.«
Luke trank seine Wasserflasche aus. »Ich würde gern wissen, wer dein Klient ist. Ich will wissen, wer potenzielle Extremisten im Internet sucht.«
Henry faltete das Papier zusammen, an dem er geschrieben hatte, steckte es ein und klappte das Buch zu. Der Titel des Buches lautete: Die Psychologie von Extremisten. Henrys
eigenes Meisterwerk; er hatte es nach dem Anschlag von Timothy McVeigh geschrieben und war damit auf wenig Resonanz gestoßen, bis 9/11 alles auf den Kopf stellte und seine Theorien über die Geisteshaltung von Terroristen Anklang fanden. Nachdem er eine Reihe von Professuren in verschiedenen Teilen der Welt innehatte und sich - so wie einst Lukes Vater - als eine Art fahrender Gelehrter betätigte, hatte er letztes Jahr in Washington einen kleinen, aber erfolgreichen Thinktank ins Leben gerufen, unter dem Namen The Shawcross Group. Sie forschten und schrieben über die Rolle der Psychologie in der Politik, im Terrorismus, im Extremismus und im internationalen Verbrechen. Seine Klienten waren die absoluten Macher in Washington, London, Paris und überall auf der Welt - Entscheidungsträger in Regierungen und multinationalen Konzernen, die ihre Aktivitäten vor der Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus schützen wollten.
»Das kann ich dir nicht sagen. Nicht jetzt. Tut mir leid.«
»Ich glaube einfach … wir sollten diese Informationen der Polizei übergeben. Oder dein Klient sollte es tun.«
»Hast du irgendwelche Hinweise auf tatsächliche kriminelle Aktivitäten gefunden?«, fragte Henry und nahm seine Drahtgestellbrille ab.
»Äh … nein.«
»Aber du hast ein Potenzial für kriminelle Aktivitäten entdeckt?«
»Sieh dir einfach selbst an, was es von der Night Road Neues gibt.«
Luke setzte sich an seinen Computer.
Er hatte eine Liste von über hundert Webseiten, Diskussionsgruppen und Online-Foren, die er regelmäßig studierte. Hier versuchte er mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die
glaubten, dass sich die Probleme der Welt nur noch mit extremen Maßnahmen oder gar mit Gewalt lösen ließen. Auf dem Bildschirm öffnete sich ein Fenster, das die Reaktionen auf seine jüngsten Kommentare anzeigte. Seine Benutzernamen und Passwörter hatte er in einer Textdatei auf seinem Mac gespeichert, weil er sie sich nicht alle merken konnte. Er loggte sich in die erste Online-Diskussionsgruppe ein, deren Themen von einer Einwanderungsreform bis zu einer Privatisierung der Rentenversicherung reichten. Die Beiträge waren meistens rechtsextrem, und so hatten sich seit gestern zahlreiche Reaktionen auf seine gemäßigten Kommentare angehäuft. Luke sah sie rasch durch; die Schreiber waren sich im Großen und Ganzen einig, doch sie schürten ihren Zorn gegenseitig. Luke schrieb unter dem Pseudonym MrEagle und vertrat eine viel gemäßigtere Position zur Einwanderungsfrage. Es dauerte nicht lange, bis die wütenden Kommentare eintrafen, die er dann sammelte und studierte. Er postete auch unter anderen Namen und stimmte jenen zu, die die ursprünglichen Beiträge angegriffen hatten, um zu sehen, ob sie an Gewalt
Weitere Kostenlose Bücher