Vertraue nicht dem Feind
dich, und erzähl mir mehr.«
»Geht nicht.« Sie wies mit einem Kopfnicken auf die voll besetzten Tische. »Ich wurde an meinem freien Tag herbeordert, weil sich jemand krankgemeldet hat. Mit einer Vollzeit- und zwei Teilzeitkräften sind wir sowieso chronisch unterbesetzt. Ich bin offiziell seit fünf Minuten im Dienst.«
»Und ich bin ein Kunde.« Sie hatte also heute ihren freien Tag. Und sie arbeitete hier nur in Teilzeit. Aufschlussreich.
»Ja, das bist du.« Sie hob das Glas hoch. »Darum werde ich dir auch ein neues Bier bringen.«
»Noch nicht.« Vielleicht auch überhaupt nicht. Wenn er etwas über Alices Vergangenheit herausfinden wollte, musste er einen klaren Kopf bewahren.
»Nein?«, fragte sie ungläubig. »Da du üblicherweise auch immer zwei trinkst, bin ich davon ausgegangen …«
»Du kennst meine Gewohnheiten?« War sie bei seinen vergangenen Besuchen in der Bar womöglich doch da gewesen, ohne dass er sie bemerkt hatte? Bevor er heute Abend wieder ging, musste er unbedingt ihre Arbeitszeiten herausfinden. »Wenn das so ist, dann sollte ich mich dir vielleicht erst einmal richtig vorstellen.«
»Dann bist du also nicht mehr inkognito?«
Nein, das Damoklesschwert seiner Vergangenheit hing nicht mehr über seinem Kopf, aber er wollte sie nicht mit seiner elenden Geschichte behelligen. »Rowdy Yates.«
»Wie dieser Typ in dem alten Clint-Eastwood-Film?«
»Meine Eltern waren Scherzkekse.« Oder zu betrunken, um klar denken zu können. Egal.
»Ich glaube eher, du flunkerst.«
Rowdy schüttelte den Kopf. »Früher oder später werden wir beide doch noch zueinanderfinden.« Ihr bei dieser Gelegenheit einen atemberaubenden, unvergesslichen Orgasmus zu bescheren, stand ganz oben auf seiner Liste. »Wenn es so weit ist, möchte ich, dass du mich auch beim richtigen Namen nennst.«
»Ich …« Sie verstummte befangen, als hätte sie seine Gedanken gelesen, ließ den Satz unvollendet und antwortete stattdessen auf seine Bitte, sich zu ihm zu setzen. »Ich sollte mich jetzt lieber an die Arbeit machen.«
Er musterte sie aufreizend von oben bis unten. »Eine Minute hast du doch sicher noch für mich.« Es gefiel ihm, wie sie ihre Reize unter einer schlichten Jeans und einem T-Shirt zu verbergen versuchte. »Ich entschädige dich auch mit einem großzügigen Trinkgeld.«
Sie geriet ins Wanken. »Mein Budget ist immer ziemlich knapp.«
»Dann tu uns beiden einen Gefallen und nimm das Trinkgeld an – und verrate mir, wie du zu der Ansicht gelangt bist, dass unser Frauengeschmack vollkommen unterschiedlich ist.«
Sie nahm die Herausforderung an. »Klar, warum nicht.« Nachdem sie auf dem Stuhl Platz genommen hatte, stützte sie sich mit den Ellbogen auf den Tisch. »Diese Blondine da?« Sie hob das Bierglas und deutete damit grob in Richtung der vollen Tische. »Furchtbar schlechter Atem. Sie ist Kettenraucherin, war schon mindestens zwei Mal draußen, um sich eine Zigarette anzustecken. Inzwischen müffelt sie wahrscheinlich so streng, dass man sie schon aus einem Meter Entfernung riechen kann.«
Na ja, dass sie rauchte, war zwar kein generelles Ausschlusskriterium, aber sonderlich scharf machte es ihn auch nicht. »Was ist mit der Brünetten?«
»Eine äußerst unangenehme Person …« Sie brach ab, kniff die Lippen zusammen und schüttelte schließlich resigniert den Kopf. »Ach was, sie ist einfach ein fieses Miststück.«
Oha! Rowdy hob die Brauen. Das war das erste Mal, dass er Avery fluchen hörte. »Das sagst du.«
»Das sagen
alle
. Wenn sie keinen legitimen Grund zur Beschwerde findet, denkt sie sich eben etwas aus. Sie benimmt sich derart widerwärtig, dass ich inzwischen die Einzige bin, die noch bereit ist, sie zu bedienen.«
Dann war die Frau wahrscheinlich in Wirklichkeit sehr unsicher. Darauf stand er definitiv nicht.
Er mochte starke Frauen. Selbstbewusste Frauen.
Rothaarige Frauen.
Hatte er Avery tatsächlich so sehr vermisst?
»Wir sind heute etwas überkritisch, was?«, frotzelte er, um die seltsame Stimmung, die ihn befallen hatte, abzuschütteln.
»Ich stelle lediglich Beobachtungen an.«
»Dann streiche ich die beiden von meiner Liste«, versprach Rowdy.
Sie schien noch immer nicht zufrieden zu sein. »Wenn du gern einen Aschenbecher küssen oder dir rund um die Uhr Gezeter anhören willst – bitte schön, nur zu. Die beiden sehen so aus, als würden sie gern mit dir gehen.«
Oh nein, er würde mit Avery nach Hause gehen und nicht mit einem billigen Ersatz.
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