Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz
verschiedenen Arten möglich wären, würden wir Menschen aus Sicht des Pferdes sicher nicht die geborenen Leitfiguren darstellen, sondern aufgrund unserer körperlichen Defizite wohl eher am unteren Ende der Rangordnung rangieren.
Gute Kommunikation ist nicht von der Rangposition abhängig.
Pferde kommunizieren miteinander durch ein sehr differenziertes Repertoire an Körpersignalen. Keines davon können wir Menschen erfolgreich imitieren und können somit auch keine Dominanzfragen klären, da wir uns den Pferden nicht eindeutig mitteilen können.
Selbst wenn wir es irgendwie geschafft hätten, uns als Alphatier durchzusetzen, könnten wir nicht über ein Pferd bestimmen. Rangordnungen haben nichts mit dem Lernen oder einer Befehlsgewalt zu tun. Selbst wenn wir der König der Pferdeherde wären -unser Pferd könnte deshalb noch immer keine besseren Galoppwechsel springen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Pferde lernen ebenso wie Menschen nur im Zusammenhang mit dem eigenen Erleben und nicht anhand eines sozialen Status. Pferde sind auch nicht ungefährlicher oder gehorsamer gegenüber dem Menschen, nur weil dieser sich dominant gebärdet. Bewusstes Lernen ist immer ein aktiver Prozess, der ein Verständnis des Lerninhalts voraussetzt. Man kann also dem Pferd nicht die erwünschten Verhaltensweisen eintrichtern oder aufgrund von Dominanz befehlen. Um uns mit diesem universellen Prinzip des Lernens vertraut zu machen, müssen wir uns mit dem Lernverhalten der Pferde etwas genauer beschäftigen.
Dominanztraining versus Lerntheorien
Die beiden konkurrierenden Lager in der Pferdeausbildung ziehen zwei grundsätzlich unterschiedliche Erklärungsmodelle heran. Die Anhänger der Dominanztheorie geben vor, dass Pferde, die einmal einen Menschen als „ranghöher“ akzeptiert haben, fortan ohne Widerspruch seine Anweisungen befolgen. Die Anhänger der Lerntheorien dagegen halten sich an die biologische Tatsache, dass gutes Benehmen und das Ausführen von erlernten Übungen ausschließlich mit der Motivation und dem Lernverhalten zu erklären sind.
Ohne Motivation geht's nicht: Unter Druck wird das Pferd niemals freiwillig mitarbeiten.
Aus wissenschaftlicher Sicht basiert jegliches Lernverhalten auf der modernen Lerntheorie. Somit bedienen sich auch die Anhänger der Dominanztheorie dort, nur dass sie lediglich Druckmethoden benutzen und diese in wohlklingende Beschreibungen kleiden. Wir finden dieses Phänomen häufig, wenn Trainer in ihren Vorführungen beschreiben, dass sie sich „wie es die Leitstute auch tun würde, Raum nehmen, damit ein Pferd seine Position zu respektieren lernt“, und meinen damit, dass sie die Pferde unter Druck zur Reaktion antreiben. Die wichtigste Basis des Lernverhaltens besteht darin, dass das Lernen ständig stattfindet und nicht bei Bedarf an- und wieder ausgeknipst werden kann. Das Pferd nimmt seine Umwelt wahr und passt sich den jeweiligen Lebensumständen an. Dabei lernt es vor allem aus den Folgen seines eigenen Verhaltens und aus den dabei empfundenen Emotionen. So wird ein Verhalten, das sich lohnt oder in der Vergangenheit gelohnt hat, häufiger gezeigt. Ein Verhalten, das sich nicht lohnt, wird dementsprechend in Zukunft seltener gezeigt. Was sich lohnt und was nicht, liegt im Auge des Pferdes und nicht des Menschen, der es beurteilt.
Es kann beispielsweise sein, dass der Mensch meint, mit lauten Worten ein Verhalten zu bestrafen, sodass es sich für das Pferd nicht mehr lohnen sollte - aus Menschensicht ist es ja unangenehm, zurechtgewiesen zu werden. Das Pferd dagegen sucht möglicherweise die Aufmerksamkeit, die es nun in großem Maße bekommt. Sein Verhalten lohnt sich auf dieser Ebene sehr stark und wird nicht etwa seltener, sondern im Gegenteil häufiger gezeigt. Wir müssen also immer beobachten, was die Motivation des Pferdes ist, was die Beweggründe für eine bestimmte Handlung sind.
Um die Motivation des Pferdes und die unterschiedlichen Möglichkeiten des Lernens zu verstehen, müssen wir uns eingehender mit dem Lernverhalten des Pferdes beschäftigen. Es gibt verschiedene Lernarten, die teilweise parallel stattfinden und untrennbar miteinander verbunden sind und die ich im Folgenden kurz vorstellen möchte.
Gewöhnung oder Habituation
Bei der Lernart der Gewöhnung wird eigentlich nichts Neues gelernt, sondern es wird im Gegenteil etwas verlernt, nämlich die Reaktion auf eine ganz bestimmte Sinneswahrnehmung, einen Reiz. Ein Pferd
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