Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz
zwischen Pferd und Mensch nachhaltig. Ein ausschließlich negativ gestaltetes Training mit nur Pausen als vermeintlicher „Belohnung“ löst eine Stressreaktion beim Pferd aus. Lernen ist aber unter Stress nur schwer möglich, daher wird sämtliches Vorankommen ziemlich verlangsamt. So harmlos das Vorgehen mit psychischem Druck auch klingen mag, seine Auswirkungen sind verheerend für das psychische Wohlbefinden des Pferdes.
Zuckerbrot und noch mehr Peitsche?
Zunächst einmal funktionieren die zuletzt geschilderten Methoden nur, wenn der Trainer prinzipiell bereit ist, Druck auf das Pferd auszuüben, aufrechtzuerhalten und bei Bedarf zu verstärken. Fatalerweise gewöhnen Pferde sich an die Stärke des Drucks, es sind also nach und nach immer stärkere Einwirkungen zum Erreichen des gewünschten Effekts nötig - bis hin zu gelegentlich zu beobachtenden explosionsartigen Wutausbrüchen des Menschen.
Dabei stellt sich die Frage, wie weit jeder von uns gehen möchte, um ein Pferd unter Druck zum Handeln zu zwingen. Bei empfindlichen, eher ängstlichen Pferden mag die Reaktion schon infolge des obligatorischen Seilschwenkens oder der treibenden Körpersprache funktionieren. Bei unempfindlicheren Pferdenaturen wird allerdings sehr viel mehr Druck, also durchaus ein Schlag mit der Gerte oder ein Treffer mit dem Seilende, nötig sein. Und wie können wir das noch steigern? Wollen wir wirklich den Druck nach Stufenmodellen weiter erhöhen? Irgendwann wird bei jedem von uns eine Grenze erreicht sein, was wir uns und unserem Pferd nicht mehr zumuten können. Bei dem einen wird schon ein Klaps mit der Gerte zu viel sein, der Nächste wird seine Grenze erst beim Einsatz einer scharfen Serreta oder eines Elektroschockgerätes sehen.
Ganz egal, wo die individuelle Schmerzgrenze sich auch befindet: Das Problem liegt in der Natur der Sache. Jeder, der sich innerhalb einer Trainingsmethode entschieden hat, mit negativer Verstärkung und Stufenmodellen der Druckerhöhung zu arbeiten, muss bereit sein, eine Grenze zu überschreiten und den Druck zu erhöhen. Sonst funktioniert diese Trainingsform nicht. Die meisten von uns Pferdefreunden möchten das intuitiv nicht. Viele Reiter merken, dass diese Druckmethode moralisch nicht richtig sein kann, werden allerdings durch professionelle Trainer von der Notwendigkeit des Durchgreifens überzeugt. Diese Trainer wenden sehr dosiert und subtil Druck an und sind häufig skrupellos genug, den Druck stark zu erhöhen. Ihre Pferde „funktionieren“ scheinbar perfekt. Das beeindruckt viele Reiter und überzeugt sie davon, es diesen Trainern nachzutun.
Schönes Reiten funktioniert ohne Druck! Selbst unscheinbare Pferde gewinnen auf diese Weise enorm an Ausdruck.
Doch ein Blick in die leblosen, leeren Augen dieser Pferde verrät genau, auf wessen Kosten diese Trainingsmethode des „pressure and release“ funktioniert: Sie geht auf Kosten der Lebensfreude und der Persönlichkeit des Pferdes. Dabei werden auch Risiken für ungeübtere Menschen völlig außer Acht gelassen. Jedes Tier wird nur ein bestimmtes Maß an Druck klaglos ertragen. Es wird vielleicht lange Zeit gut „funktionieren“, doch es wird irgendwann nach Auswegen aus seiner Situation suchen. Im besten Fall lässt es sich vielleicht nicht mehr auf der Weide einfangen. Im schlechtesten Fall kann es zu einer sogenannten Gegenaggression kommen. Irgendwann gibt es für das Pferd nichts mehr zu verlieren. Wird ein in dieser Art und Weise trainiertes Pferd durch ein scheinbar harmloses Kommando mental in die Enge gedrängt, so wird es buchstäblich um sein Leben kämpfen. Diese Gegenaggressionen können Besitzer und unbeteiligte Anwesende völlig unerwartet treffen.
Viele Menschen, die nach dem Prinzip „Druck machen und nachlassen“ arbeiten, vergessen, dass sie bei dieser Trainingsmethode überhaupt einen belastenden Druck aufgebaut haben. Sie reden sich die Pausen und das Nachlassen des Drucks künstlich schön. Doch Tatsache ist, dass man nur mit Maßnahmen wieder aufhören kann, die man irgendwann begonnen hat. Man kann nicht dort Druck nachlassen, wo keiner vorhanden ist. Dieser Aufbau des Drucks ist eine aktive Strafe für das Pferd im Sinne der Verhaltensbiologie, egal, wie gering sie auch sein mag.
Definitionsgemäß ist all das schon negativ und ein Strafreiz, auf den ein Pferd mit negativen körperlichen Reaktionen, Ausweich- oder Meideverhalten und mit Angst-, Ärger- oder Stressgesichtern reagiert.
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