Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz
Geburt an allen nur erdenklichen Körperstellen angefasst und so lange festgehalten werden, bis es keine Abwehrbewegungen mehr zeigt. Weiterhin soll es für das spätere Reiten auf wichtige Berührungen hin sensibilisiert werden. Dazu wird das Neugeborene im Maul an der Stelle, wo später das Gebiss liegen soll, oder auch an der Gurtlage so lange mit steigendem Druck berührt, bis eine Ausweichreaktion erfolgt. All dies soll zu einem besonders gehorsamen Pferd führen und alle Probleme im Umgang vorsorglich im Keim ersticken, so die Theorie.
Fohlen brauchen gleichaltrige Fohlen als Spielkameraden, um Freundschaften knüpfen zu können und sich zu stabilen Pferdepersönlichkeiten zu entwickeln.
Die Praxis sieht wie so oft ganz anders aus. Zum einen behaupten die Anhänger der Methode, dass dort Prägungsprozesse, also ganz natürliche Vorgänge ablaufen. Genau genommen wird aber der Prägungsprozess auf die Mutter massiv gestört. Das Festhalten eines anderen Lebewesens gegen seinen Willen ist sicher ebenso eine Form der Gewalt wie das Schlagen. Es handelt sich hierbei weiterhin um eine Reizüberflutung, deren allgemeine Gefahren wir später noch eingehend erörtern werden. Das junge Pferd ist mit den Eindrücken komplett überfordert, diese Überforderung wird vom Menschen ausgenutzt, um seine Übermacht zu demonstrieren. Der Mensch greift in einen ganz entscheidenden Moment der Kontaktaufnahme zwischen Mutter und Kind ein. Es kann zu einer Fehlprägung kommen, also zu einer Identitätskrise, bei der das betroffene Fohlen sich später nicht als Pferd wahrnehmen kann. Mögliche Folgen sind tiefe erste Verunsicherung, Trauma oder Schockzustand. Das alles geschieht, um scheinbar gut funktionierende Pferde zu erschaffen. Pferde sind aber keine Marionetten der Menschen, sondern haben ein Recht auf eine gesunde, normale Persönlichkeitsentwicklung, in die keinesfalls so massiv eingegriffen werden sollte.
Prägung, aber richtig: Eine einfühlsame Annäherung an das Fohlen in der sensiblen Phase mit zärtlichem Körperkontakt fördert die positive Beziehung zum Menschen. Dagegen wird das noch junge Pferdekind durch die massiven Eingriffe des populären Prägungstrainings überfordert.
Round-Pen-Training
Eine sehr bekannte Methode, die auf den Prinzipien der Dominanztheorie beruht, ist das sogenannte Round-Pen-Training. Dazu wird ein Pferd in einen hoch umzäunten Longierzirkel gebracht und von dem in der Zirkelmitte befindlichen Pferdetrainer nach bestimmten Vorgaben im Kreis bewegt. Dabei soll der Mensch seine Dominanzposition festigen und das Pferd sich nach einer gewissen Zeit dem Menschen „freiwillig“ anschließen.
Tatsächlich funktioniert das Treiben des Pferdes ausschließlich nach dem Prinzip des Druckmachens und -nachgebens. Der Trainer setzt je nach Empfindlichkeit des Pferdes mehr oder weniger starken Druck ein, bis das Pferd mit Bewegung reagiert. Durch die Kreisform des Round Pens und den hohen Zaun wird das Pferd am Entkommen gehindert. Irgendwann erkennt es, dass es kein Entrinnen gibt und dass es nur in Ruhe gelassen wird, wenn es dem Menschen bedingungslos folgt und es ansonsten für jedes andere Verhalten erneut durch Herumscheuchen bestraft wird. Es ergibt sich keine Veränderung in Bezug auf die Dominanz des Menschen. Tatsächlich sind die Merkmale, die von diesen Trainern als Zeichen der Anerkennung der Autorität des Menschen ausgelegt werden (Fallenlassen des Kopfes, Leerkauen, Lecken) aus verhaltensbiologischer Sicht auf den Stress und die Ohnmacht durch den vorangegangenen Druck im Training zurückzuführen.
Horsemanship-Methoden
Es gibt eine Reihe weiterer Methoden, die nach dem schon erwähnten „pressure and release“-Prinzip funktionieren und dabei scheinbar die Rangposition des Menschen verbessern wollen. Sie können unter dem Begriff Horsemanship zusammengefasst werden. Einige Trainer arbeiten dabei nach einem ausgefeilten Stufenmodell mit aufeinander aufbauenden Einheiten und mit der Anwendung spezieller Führstricke, Halfter und Gerten.
All diesen Methoden gemein ist wieder, dass das Pferd über ansteigenden Druck zum Reagieren gebracht wird. Bei professionellen Trainern sollte der Druck dann sofort nachlassen. Das Pferd lernt also über negative Verstärkung, dass es unumgänglich ist, das zu tun, was der Mensch will. Dazu wird das Pferd mithilfe der Körpersprache oder der Hilfsmittel dirigiert, indem bei Nichtbefolgen eines Kommandos die nächsthöhere Druckstufe
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