Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
aller Erkrankten starben. Die Krankheit wurde von Läusen verbreitet, und an Läusen herrschte kein Mangel in diesem Jahrhundert; die Hygiene war unzulänglich, die Häuser waren in der Regel aus Holz und feucht, und oft ließen die Menschen darin eine ganze Menge Haustiere frei laufen, was weiteres Ungeziefer und Schmutz mit sich brachte.
Was geschah, als der Mann begriff, dass er die Pest hatte, ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen.
Es hinterließ auf jeden Fall eine unauslöschliche Erinnerung in ihm. Warum, ist unmöglich zu sagen. Es kann nicht nur daran liegen, dass er dem Tod nahe kam, denn in der Nähe des Todes lebte er den größten Teil seines Lebens. Möglicherweise war es die seltsame Rettung, die ihn noch sehr viel später verweilen ließ bei dem, was geschah; er deutet es im Tagebuch an: «Und sintemalen meine Krankheit sehr wunderliche Ereignisse mit sich geführt hat, aus denen Gottes gnädige und huldreiche Vorsehung und Fügung scheinbar ersichtlich sind, also will ich sie etwas weitläufiger beschreiben.» Das wichtige Wort hier ist «Vorsehung». Vielleicht sah er das, was geschah, als Beweis dafür an, dass Gott ihn verschont hatte, ihn verschont hatte für etwas Großes?
In dieser Lage suchte er nicht, wie man vielleicht hätte erwarten können, Hilfe bei einem sachkundigen Arzt im Hauptquartier. Stattdessen beschloss er, auf der Stelle das Hauptquartier in Frauenburg zu verlassen und gemeinsam mit seinem Diener nach Elbing zu reiten, und zwar bevor die Krankheit überhandnahm und «bevor jemand erfuhr, daß ich infiziert war». Er wollte also verbergen, dass er angesteckt war.
Auf dem Weg nach Elbing machten sie am 9 . Oktober Rast in einem kleinen Dorf 30 Kilometer vor der Stadt, um zu schlafen. Während der Nacht brach die Krankheit mit hohem Fieber ernstlich aus. Am Morgen schickte er den Diener zurück nach Frauenburg, sagte, er «wolle allein sein», aber dass sie sich bald in dem Dorf wieder treffen würden. Kaum war sein Diener außer Sichtweite, sattelte er sein Pferd und band seine Taschen hinter dem Sattel fest. Dann ritt er in den Wald. Es war sein 31 . Geburtstag.
Was war der Grund? Er selbst spricht davon, dass es «im Wahnsinn» geschah, dass aus seinen verwirrten Handlungen «der Kopfschwindel» sprach. Ganz offenbar war sein Gehirn von Entsetzen und hohem Fieber verdunkelt. Ein Pestkranker wird auch häufig von Angstzuständen befallen und ist wirr und nicht selten gewalttätig. Doch lässt sich eine Idee in dem Ganzen ahnen, eine Art verdrehter Logik, die ihn veranlasste, statt Hilfe zu suchen, in den Wald zu flüchten, geradewegs in eine doppelte Lebensgefahr hinein. Denn dort lauerte nicht nur der einsame Tod in Form einer Pest, die ihn bereits angesteckt hatte, dort lauerte auch der Tod in Gestalt umherstreifender Banden von verbitterten polnischen Bauern, die jeden Schweden, dessen sie habhaft wurden, zu Tode prügelten.
Es gibt eine mögliche Erklärung für diese wahnwitzige Handlungsweise, eine Erklärung, die in seinem Tagebuch aufscheint. Er befürchtete offenbar, den König mit der Pest angesteckt zu haben.
Man hatte in dieser Zeit nur einen reichlich unklaren Begriff davon, wie Ansteckungen sich ausbreiteten. Eine häufig vorgebrachte Theorie besagte, dass die Pest sich durch verschiedene giftige Luftpartikel, das
Miasma
, fortpflanzte, das, wenn es eingeatmet worden war, eine Art Fäulnisprozess im Körper in Gang setzte. Es gab Gelehrte, die davon sprachen, dass jede Krankheit besondere Keime habe, die von Person zu Person wandern konnten, zum Beispiel durch die Luft oder über Textilien. Gegen Schluss dieses Jahrzehnts wurde in Rom eine sensationelle Theorie lanciert; ein jesuitischer Allwisser namens Athanasius Kircher – der 1633 seine Professur in Würzburg verließ und vor der anrückenden schwedischen Armee nach Süden fliehen musste – gab an, durch das Mikroskop eine Art klitzekleiner Tiere, «Würmer», entdeckt zu haben, die sich selbst vermehrten und die Pest hervorriefen. (Das moderne Mikroskop wurde um diese Zeit in die wissenschaftliche Arbeit eingeführt, und sein Vergrößerungsgrad war gering. Kircher sah wahrscheinlich rote Blutkörperchen. Seine Idee erregte anfänglich großes Aufsehen, geriet aber dann in Vergessenheit bis ins vierte Jahrzehnt des 19 . Jahrhunderts.)
Die Gegenmaßnahmen, die üblicherweise ergriffen wurden, wenn die Pest ausbrach, lassen dennoch auf gewisse, wiewohl unklare Einsichten in das Wesen der
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