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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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diesen Informationshunger und wussten auch, dass die Menschen, wenn sie nicht wussten, was geschah, dazu neigten, sich aus Gerüchten ihre eigenen Deutungen des Geschehens zu formen.
    Die üppig wuchernde Flora des Hörensagens wurde von den Regierenden auch als ein Problem betrachtet, und das mit gewissem Recht. Aufständen, Unruhen und auch den in bestimmten Abständen aufflammenden Epidemien von Hexenwahn ging fast immer eine kräftige Gerüchteverbreitung vorauf. Wer Unruhe schaffen oder die Menschen zum Kampf mobilisieren wollte, bediente sich für seine Zwecke häufig bewusst des Gerüchts. Verschiedene mehr oder weniger phantasievolle Geschichten waren oft das Einzige, dessen es bedurfte, um eine bereits gespannte Situation in Geschrei und Krawallen explodieren zu lassen. Auch das Trachten der Bürger nach Information jeder Art wurde von den Herrschenden mit einem gewissen Unwillen beobachtet. Neuigkeiten wurden lange Zeit als etwas angesehen, das vor allem die höheren Stände anging, und ein Nichtadliger, der Neuigkeiten verschlang, konnte wie ein im Luxus lebender Bürger als eine direkte Herausforderung der Aristokratie und ihres traditionellen Machtmonopols aufgefasst werden. Um sich zu behaupten und all diesen mehr oder weniger spontanen und mehr oder weniger umstürzlerischen Gerüchten Paroli zu bieten, hatte schon Gustav Adolf dafür gesorgt, in regelmäßigen Abständen gedruckte Zeitungen herauszugeben, und sowohl die
Gazette de France
– im Wesentlichen eine Erfindung Kardinal Richelieus – als auch die
Ordinari Post Tijdender
– im Wesentlichen ein Projekt Axel Oxenstiernas – dienten diesem Zweck. Die öffentliche Meinung war eine Tatsache, und die Regierenden taten ganz einfach, was sie konnten, um sie zu beeinflussen. Es ist jedoch interessant zu beobachten, dass sie den Informationsfluss noch in den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts nur lose im Griff hatten. Alle Länder hatten irgendeine Form von Zensur, sei es kirchliche oder staatliche oder beides zugleich, doch sie war meistens organisatorisch ineffektiv, gedanklich unbeholfen und in der praktischen Durchführung lasch, nicht selten brutal, aber gleichzeitig leicht zu umgehen – also Lichtjahre entfernt von der modernen totalitären Zensur. Manchmal wurde jemand angeklagt wegen etwas, das er geschrieben hatte, aber meistens griff die Zensur ein, indem sie die betreffende Schrift beim Drucker beschlagnahmte. Es gab auch einen Schwarzmarkt für verbotenes oder zensiertes Material, das auf diese Weise trotz aller Verbote an die Öffentlichkeit kam. Der Staat war noch zu schwach, um eine effektive Kontrolle über den Informationsfluss auszuüben, und die Herrschenden mussten sich noch damit abfinden, mit den selbständigen Nachrichtenblättern zu konkurrieren. Wie man bei Hof um die Gunst des Regenten kämpfte, indem man ihn mit der besten Information versorgte, so gab es auch hier eine Art von «Nachrichtenkampf». Viele unabhängige Zeitungen waren tatsächlich recht zuverlässige und unparteiische Organe, die nach Möglichkeit alles laute Polemisieren vermieden, und dies zwang auch die offiziösen Blätter dazu, auf allzu grobe Propaganda zu verzichten und stattdessen den einen oder anderen Einblick in die innersten Gemächer der Macht zu gewähren. So hatte Ludwig XIII . selbst in der
Gazette de France
geschrieben, und in der
Ordinari Post Tijdender
wurden viele von schwedischen Befehlshabern draußen im Feld geschriebene authentische Briefe und Berichte abgedruckt.
    Die gedruckten Zeitungen waren allerdings nie besonders detailliert in ihrer Darstellung oder tiefschürfend in ihrer Analyse. Fürsten und andere Mächtige bezogen ihre besten Nachrichten von den Kundschaftern, Diplomaten und Residenten, die über die Länder und Reiche des Kontinents verstreut waren. Andere Personen, die wirklich fundierte Information suchten, mussten sich diese durch die privaten Nachrichtenbriefe,
nouvelles
, beschaffen, die mit der Hand geschrieben und kopiert und zuweilen für teures Geld weiterverkauft wurden. Hochgestellte Personen, die Geld hatten, hielten mitunter eigene Berichterstatter in verschiedenen großen Städten oder griffen auf Nachrichtendienste von Kaufleuten oder Reisenden zurück: Dienste, die sich teils darauf beschränkten, das eine oder andere lokale Neuigkeitsblatt zu übersenden, teils in reiner Spionage bestanden. Obwohl mehr und mehr Zeitungen und Blätter herausgegeben wurden, spielten also die informellen

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