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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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und waren lang (an die 75 Zentimeter) und schwer (fast zwei Kilo) – was sie zu einer brauchbaren Schlagwaffe machte, nachdem der Reiter den Schuss abgefeuert hatte. Die bis dahin vorherrschenden Handfeuerwaffen mit Luntenschloss – bei denen das Abfeuern mittels einer Art brennender Lunte geschah – waren allzu unhandlich, um von einem Mann benutzt zu werden, der zu Pferde saß. Das sinnreiche Radschloss – bei dem der zündende Funke entstand, wenn ein vermittels einer Feder gespanntes Stahlrädchen durch rasches Drehen gegen einen Feuerstein gerieben wurde – war für den Gebrauch im Sattel bedeutend einfacher. (Radschlosswaffen waren im 16 . Jahrhundert in Österreich zeitweilig verboten, weil die leicht handhabbare Waffe unter den Straßenräubern dort in kurzer Zeit allzu beliebt geworden war.) Dies bedeutet allerdings nicht, dass es ein Kinderspiel war, sie zu benutzen. Im Kampf eine Radschlosspistole nachzuladen, während man auf einem Pferderücken schwankte, erforderte viel Übung und Fingerfertigkeit. Es handelte sich nämlich um komplizierte Maschinen – es gab Radschlösser, die aus bis zu siebzig Einzelteilen bestanden –, und dazu waren sie unsicher: Im Schnitt versagten sie bei jedem fünften Schuss.
    Auf der einen Seite der große, wogende Haufen der Tataren mit seinem Durcheinander von wehenden Lanzen, Spießen und Wimpeln. Sie ritten schnell heran auf ihren feinen Pferden, wie aus einem Sack geschüttet. Auf der anderen Seite die dicht zusammengefügten Schwadronen in ihren kleinen, genau bemessenen Rechtecken, gut hundert Mann in jedem, in drei Gliedern aufgestellt. Der Zusammenstoß war kurz, wüst und verworren.
    Warschau 1656
    Als die schwedischen Reiter, die in den vordersten Gliedern ritten, ihren Gegnern so nahe gekommen waren, dass sie ihnen in die Augen sehen konnten, feuerten sie ihre Waffen ab. Der Abstand musste aus naheliegenden Gründen gering sein: Die Pistolen hatten eine wirksame Reichweite von rund zehn Metern. Als Antwort prasselte ein Schauer von Pfeilen über ihre Reihen nieder. Bevor das trockene Knattern der Salven verklungen war, steckten sie rasch ihre Pistolen fort und zogen die Degen. Sie warfen sich durch den weißen Rauch, den Tataren entgegen.
    Es ist möglich, dass der Mann aus Italien bei ebendiesem Kampf zugegen war – allem Anschein nach war er während der gesamten Schlacht passiver Zuschauer. Er hat sie in einer Zeichnung festgehalten, «nach dem Leben gezeichnet» steht darauf. Die schwedischen Reiter stürmen geschlossen mit flatternden Hutkrempen und mit den Pistolen in den ausgestreckten Händen vorwärts. Die Mündungsfeuer zerreißen die Luft, und die dichten Rauchschwaden hüllen alle und alles ein und machen es schwer, Kameraden zu erkennen, die nur wenige Meter entfernt reiten. Ein Offizier feuert mit dem Degen seine Reiter an – oder weist er ihnen nur den Weg in dem blind machenden Rauch? Vor ihnen, hinter einem wogenden Rauchvorhang: ein wirres und schreiendes Durcheinander, wo Menschen kreuz und quer reiten. Manche drängen vorwärts gegen die Schweden, zusammengeduckt hinter ihren ovalen kleinen Schilden, als wehe ein starker Wind – in der Stellung, die Menschen, ohne zu denken und aus Instinkt einnehmen, wenn sie sich in starkem Feuer bewegen. Andere Tataren sind bereits auf dem Rückweg und schießen im Davongaloppieren unkontrolliert ihre Pfeile ab. Und zwischen den Hufen der Pferde, zerbrochenen Pfeilen, fallengelassenen Schilden und allerlei anderem Kram liegen die, die bereits verloren haben: über den Haufen Gerittene und Verwundete, die sich halb liegend zu schützen versuchen oder mit ausgestreckten Armen, gleich Ertrinkenden, um Hilfe flehen; andere liegen unter dem Gewicht gestürzter Pferde eingeklemmt und versuchen zappelnd, sich zu befreien; Verwundete winden sich in Schmerzen oder sind wie kleine Bündel zwischen dem trampelnden Gewimmel der Hufe zu erahnen, wo sie sich zusammengerollt haben und den Kopf mit den Armen zu schützen versuchen. (Auch wenn ein Pferd ungern auf einen lebenden Körper tritt, konnte eine Person von den Hufen doch schwer verletzt werden.) Und dann die Toten. Wie über den Boden ausgestreut liegen sie da, Arme und Beine von sich gestreckt, noch warm, vielleicht erst einen Atemzug vom Leben entfernt: die Gesichter verwandelt zu gähnenden Masken mit hängendem Kinn und zu dunklen Löchern ausgebrannten Augen. Dies war die hässliche Wirklichkeit hinter dem Begriff Kavallerieschock. Eine Szene, die

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