Verzaubert!
dergleichen geschah. Sie stand am Fenster und blickte ihrem davonreitenden Gatten nach, und als dieser auf seinem Pferd hinter einem Hügel verschwunden war, betrachtete sie erneut den kleinen Schlüssel, der unter all den anderen so winzig an dem Ring wirkte und den sie nicht benutzen durfte. Obwohl sie sich um Ablenkung bemühte, gelang es ihr nicht. Ihre Neugierde trieb ihre Gedanken immer wieder in dieselbe Richtung. Sie wanderte nachdenklich durch die langen, zugigen Gänge des Schlosses. Was verbarg sich hinter der Tür in diesem Raum, den sie nicht betreten durfte? Und plötzlich, ohne dass sie es mitbekommen hätte, befand sie sich im Keller und stand vor dieser Tür.
“Ich werde nur einen flüchtigen Blick hineinwerfen, nur einen einzigen, sonst finde ich keine Ruhe”, sagte sie zu sich selbst, und dann steckte sie mit einer schnellen Bewegung den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Die Tür ließ sich leicht öffnen, und neugierig blickte sie in den Raum, konnte aber nichts erkennen, denn es war stockdunkel. Sie entzündete ein Streichholz und ging zögernd ein, zwei Schritte nach vorn. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das flackernde Licht. Ihr Blick fiel zuerst auf einen langen Tisch aus Holz, an dessen beiden Enden sich Hand- und Fußschellen befanden. Daneben hing ein dickes Seil mit Fesseln von der Decke. Weiter unten teilte sich das Seil, und es war an zwei Fußschellen befestigt, die nebeneinander in den Boden eingelassen waren.
An der Wand befanden sich Lederriemen und Peitschen in unterschiedlichen Größen. Ängstlich dachte sie an die Gerüchte, die um ihren Mann kursierten. Man munkelte, jede einzelne von Blaubarts Frauen sei verschwunden, und niemand wusste, wohin.
Jetzt wusste sie es. Er hatte seine Ehefrauen hier in diesem Raum umgebracht, wenn er ihrer überdrüssig geworden war. Etwas anderes war nicht möglich. In diesem Augenblick erreichte die Flamme ihre Finger. Mit einem kleinen Aufschrei warf sie das Streichholz von sich. Es erlosch. Vor Schreck ließ sie daraufhin den Ring mit den vielen Schlüsseln fallen und bückte sich rasch in der Dunkelheit, um ihn aufzuheben. Daraufhin verließ sie beinahe fluchtartig den Raum, rannte durch den Keller, fand die Treppe, lief diese hinauf und öffnete die Tür zum erstbesten Raum, der sich ihr im Erdgeschoss bot. Ganz außer Atem ließ sie sich in einen Sessel fallen, um nachzudenken.
Nun, er würde nicht herausfinden, dass sie dort gewesen war. Schließlich hatte sie nichts berührt oder verändert. Er würde es nie erfahren. Doch als sie den Schlüsselring nach oben hielt und einen nachdenklichen Blick auf den verbotenen Schlüssel warf, erstarrte sie vor Entsetzen. War sie verrückt geworden? Der kleine Schlüssel hatte seine Farbe geändert. Er war nun nicht mehr rostig, sondern leuchtete in einem strahlenden Rot. Sie rieb ihn an ihrem Kleid und hoffte, dass die rote Farbe abging, doch was auch immer sie tat – der Schlüssel blieb rot.
Sie dachte fieberhaft nach. Was konnte sie nur tun? Endlich kam ihr die rettende Idee. “Ich werde den Schlüssel einfach abnehmen. Blaubart wird denken, er sei verloren gegangen”, sagte sie zu sich selbst und war von diesem Plan sehr angetan.
Doch fast im gleichen Moment fiel ein Schatten über sie. Entsetzt sah sie hoch. Vor ihr stand niemand anderes als ihr Ehemann. Schnell legte sie die Hand, in der sie die Schlüssel hielt, hinter den Rücken und versuchte ein erfreutes Gesicht zu machen, aber es nützte nichts. Sie war leichenblass. Er wusste sofort, was passiert war: Sie hatte sich seinem Verbot widersetzt. Aber Blaubart ließ sich nichts anmerken. Mit freundlicher Stimme erzählte er, dass die Umstände sich geändert hätten und er die lange Reise nun doch nicht antreten müsste. Es entging ihm keineswegs, dass seine Frau sich nach Kräften bemühte, ihm aufmerksam zuzuhören und freudig zu lächeln. Doch sie war mit ihren Gedanken ganz woanders.
Und so fragte er gezielt nach den Schlüsseln. Sie wand sich hin und her und versuchte ihn abzulenken, doch er bestand darauf, dass sie ihm die Schlüssel übergab, sodass sie sie ihm schließlich aushändigte.
Mit einer langsamen Bewegung nahm er den großen Ring entgegen und sah ihn sich an.
“Der Schlüssel, den du nicht benutzen solltest, ist rot”, stellte er mit hochgezogenen Brauen fest. “Warum, Geliebte?”
Und nun konnte seine Frau nicht mehr. Sie begann zu weinen und flehte und bettelte um Vergebung. Doch Blaubart
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