Verzeihen ist immer moeglich
dann umarmte sie mich. Danach verschwand sie wieder.« 55
Sam erfuhr eine bemerkenswerte Erleichterung von den sich aufdrängenden Bildern. Seine Ängste und Depressionen, die ihn achtundzwanzig Jahre lang im Griff hielten, lösten sich auf. Seine Trauer war von da an verschwunden.
Es ist nicht das erklärte Ziel einer IADC-Therapie einen Nachtodkontakt zu bewirken. Das Vorgehen führt jedoch zu einer empfänglichen Haltung, die Verbindung zu einem Verstorbenen spontan erfahren zu können. Wichtig zu wissen ist es, dass es zu einer Wiederbegegnung kommen kann, was aber längst nicht immer geschieht. Der Trauernde muss bereit sein, sich seinem Schmerz zu stellen und sich dem inneren Geschehen anzuvertrauen.
Die Begegnung mit dem Verstorbenen findet unabhängig von Therapeuten statt, überraschend und plötzlich. Das ist ein Indikator dafür, dass auch in der psychotherapeutischen Arbeit die Nachtodkontakte vom Verstorbenen ausgehen. Botkin machte durch die Arbeit mit seinen Klienten folgende Entdeckungen: 56
• Nachtodkontakte während der IADC-Therapie sind unabhängig vom Glauben oder der Religionszugehörigkeit. Sie werden auch nicht durch das Glaubenssystem des Therapeuten beeinflusst.
• Die Erfahrungen können bei schwerer Trauer ebenso auftreten wie bei Hinterbliebenen, die nur wenig unter einem Verlust leiden.
• Die Therapie sollte nicht direkt nach einem Verlust erfolgen, sondern erst nach einem Jahr.
• Es gibt keine erforderlichen mentalen oder psychischen Voraussetzungen, da jeder eine solche Therapie machen kann.
• Das einzige Hindernis sind festgefahrene Vorstellungen darüber, wie der Himmel aussieht, oder die Erwartung, was der Verstorbene sagen soll. Das kann das natürliche Auftreten eines Nachtodkontaktes blockieren. Es geht darum, alle Erwartungen loszulassen und den Raum zu öffnen für das, was geschehen mag.
• Es ist möglich, durch einen induzierten Nachtodkontakt einen längeren Prozess anzustoßen, damit die Lösung und Heilung bewusst erfahren werden kann.
• Die Kommunikation ist manchmal verbal, meist aber jenseits von Worten, also telepathischer Natur.
Aussöhnung mit Verstorbenen
Die psychotherapeutisch herbeigeführten Nachtodkontakte haben sich in besonderer Weise als eine große Hilfe für Menschen erwiesen, die den Tod von anderen herbeigeführt haben oder als Täter schuldig geworden sind. Durch ihre Bereitschaft, sich mit ihrer tiefen Traurigkeit und tief sitzenden Schuldgefühlen auseinanderzusetzen, konnte in vielen Fällen eine tief gehende Heilung erzielt werden. Dabei bestätigte sich in besonderer Weise, dass Vergebung denjenigen heilt, der vergeben kann.
Das Leben ohne jede Vergebung ist eine wesentlich größere Herausforderung als der Tod und alles, was danach ist. Wenn alte Verletzungen nicht losgelassen werden, entsteht eine Schwere, die wir uns selbst auferlegen. Depressionen, Angstzustände und das ständige Kreisen in der Vergangenheit sind die Folge. Verzeihenkönnen ist in seinem tiefsten Kern bedingungslose Liebe durch die Akzeptanz des anderen, wie er ist, aber auch Selbstannahme und Selbstvergebung sind in diesem Prozess unausweichlich.
Viele heilsame Nachtodkontakte, ob therapeutisch bedingt oder spontan erlebt, sind Beispiele dafür, dass Verstorbene vergeben oder um Vergebung bitten. Die Erfahrung, sich mit einem Verstorbenen wiederverbunden zu haben, führt zu einem Gefühl von Liebe und Vergebung. Schuldgefühle ruinieren das Leben vieler Menschen, weil sie ihrer Überzeugung nach unverzeihlich gehandelt haben. Verstorbene sind in besonderer Weise reumütig und entschuldigen sich. Sie übernehmen die Verantwortung für ihr Handeln und bitten um Vergebung.
Die IADC-Therapie hat gezeigt, dass es in fast allen Fällen zum Verzeihen kommt und der selbstzerstörerische Hass nachlässt. Wer einem anderen vergeben kann, der grausam zu ihm gewesen ist, eröffnet sich einen Zugang zum eigenen Mitgefühl und seiner Menschlichkeit. Wenn sich Traurigkeit, Angst, Ärger oder Schuld auflösen durch eine Nachtodbegegnung, bleibt das Mitgefühl. Nur Vergebung heilt.
Es geht immer wieder auch darum, einem Verstorbenen vergeben zu können, der als Täter großes Leid verursacht hat. Wie kann ich beispielsweise einem Vater vergeben, der mich als Kind über Jahre sexuell missbraucht hat mit der Folge schwerer emotionaler Störungen, von Selbsthass und gleichzeitigen Schuldgefühlen? Jeder vernünftige Mensch würde meinen, dass Derartiges unverzeihlich
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