Verzeihen ist immer moeglich
kann zum eigenen Leid werden, unabhängig davon, ob ich Opfer oder Täter bin, da jede Erinnerung an die Verletzung die alten Wunden wieder aufreißt.
Verzeihen bedeutet, sich aus den Gedankenkreiseln und Verletzungen zu befreien. Wirkliche Heilung kann nur durch Vergebung erlangt werden. Die Bitte um Vergebung seitens der Verstorbenen ist dafür ein deutliches Zeichen. Verzeihen mit verschlossenem Herzen ist niemals möglich.
52 Guggenheim, Trost aus dem Jenseits, S. 98.
53 Guggenheim, Trost aus dem Jenseits, S. 300.
5. Kapitel – Wiederbegegnungen mit verstorbenen Kindern
Der Tod eines Kindes trifft in der heutigen westlichen Gesellschaft auf zwiespältige Reaktionen: Einerseits ist die Vorstellung, ein Kind zu verlieren, von tief greifenden Ängsten geprägt und gilt als das Schlimmste, was sich Eltern vorstellen können, andererseits werden wir in den Nachrichten und Zeitungen sehr häufig mit kindlichen Opfern von Morden, Bränden, Verkehrsunfällen, Hungerkatastrophen und Kriegen konfrontiert.
Doch der Tod eines Kindes ist nicht mit Worten auszudrücken, eine derartige Erfahrung liegt jenseits des Vermittelbaren. Wenn dann jemand versucht, seine Gefühle zu schildern, will sich das Umfeld am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen. Der Tod eines Kindes beschwört archaische Ängste herauf, besonders wenn man sich vorstellt, es könnte sich bei einem Opfer um das eigene Kind handeln.
Es erstaunt wenig, dass verwaiste Eltern oft allein gelassen werden und man ihnen nur hilflos und schweigend begegnet – aus der Angst heraus, sich diesem tiefen Schmerz zu stellen. So manche Nachbarin wechselt die Straßenseite, um dem Trauernden aus dem Weg zu gehen, oder es erfolgen Beschwichtigungen nach dem Moto, dass eine betroffene Mutter doch noch zwei Töchter habe. Wir haben nie gelernt, mit Trauer und Tod offen und ehrlich umzugehen.
Der Tod wird verdrängt und daher vermeiden wir es nach Möglichkeit, uns davon innerlich berühren zu lassen. Dadurch geben wir den Betroffenen nicht die Möglichkeit, ihren Schmerz über den Verlust ihres Kindes auszudrücken und darüber zu sprechen, was das für sie bedeutet. Durch diese Art des Abschirmens wird der Tod aus dem Leben ausgegrenzt, anstatt dass wir uns gemeinsam mit den Trauernden den existenziellen Fragen unseres Lebens stellen.
Erst wenn wir selbst durch den Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert sind und der gesellschaftlichen Verweigerung der Realität des Todes ins Auge sehen müssen, erkennen wir, wer von den Freunden und Verwandten wirklich für uns da ist. Das ist mitunter eine sehr bittere Erfahrung für viele Trauernde, wenn sie erleben, dass einstmals enge Freunde nicht bereit sind, ihnen zur Seite zu stehen.
Der Tod eines Kindes ruft Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit hervor. Die Menschen werden mit der Tatsache ihrer Endlichkeit konfrontiert und mit dem Wissen, dass der Tod auch ihr Kind holen könnte. Das macht es so schwierig, auf verwaiste Eltern zuzugehen, besonders wenn die Tatsache des Sterbenmüssens verleugnet wurde. Die Gesellschaft versucht sich vor Verlusten jeder Art und dem daraus resultierenden Leid zu schützen, was jedoch für eine betroffene Familie gar nicht möglich ist. Sie muss die Realität der Situation annehmen und braucht Unterstützung. Wenn diese Hilfe ausbleibt, sind viele gezwungen, den Verlust ganz allein und im Stillen zu verarbeiten. Sehr belastend für die Betroffenen ist die vorherrschende gesellschaftliche Vorstellung, in einer gewissen Zeit über den Verlust hinwegkommen zu müssen. Das ist besonders für Eltern nach dem Verlust eines Kindes nicht nachzuvollziehen.
»Georg verlor seine Tochter durch einen Verkehrsunfall. Er machte die Erfahrung, dass er seine Gefühle den Freunden gegenüber nicht ausdrücken konnte. Eher war es so, dass einige ihm Vorwürfe machten, er hätte nicht genug auf sein Kind aufgepasst. Er konnte seinen Schmerz nicht ausdrücken und focht innerlich viele Kämpfe aus. Wenn er weinen musste, hielt er das für Selbstmitleid. Im Laufe der Jahre fing er an zu trinken, um auf diese Weise seinen Verlust zu kompensieren. Seine Frau verließ ihn. In den sieben Jahren nach dem Tod seiner Tochter machte er immer wieder die Erfahrung, dass andere vor solch einem Thema zurückschreckten. Schließlich entschied er sich, eine Therapie zu machen, die ihm half, ins Leben zurückzukehren.«
Es gibt keine Regeln für einen Trauerprozess und darüber, wie lange er dauern darf. Jeder durchlebt
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