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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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kaufen. Kein Warten mehr. Nur noch handeln.
    Bevor es Abend wurde, waren die Dinge erledigt. Irgendjemand würde irgendwann die Leichen entdecken. Ein paar Haie würden darüber schreiben. Vermutlich hatte die Frau Familie.
    Dann käme sie ins Familiengrab. Und ihn würde man, wenn noch Platz war und die Überreste ausreichend verfault waren, auf dem Friedhof zu seinen Eltern betten.
    Eigentlich die beste Lösung.
    »Guten Morgen«, sagte er zu der Frau im weißen Kittel. An den Wänden hingen Aufklärungsplakate. Darunter standen Stühle. Für diejenigen, die warten mussten. Zwei Ärzte führten die Tests und die Beratungen durch.
    »Sie können mit mir kommen«, sagte die Frau im weißen Kittel.
    »Dr. Silk hat heut frei.«
    Sie forderte ihn auf sich zu setzen. Er setzte sich. Das Zimmer sah genauso aus wie das von Dr. Silk, der ihm Blut abgenommen hatte. Ein Schreibtisch. Ein Schrank. Ein Waschbecken.
    Eine Liege. Zwei Stühle. Stapel von Prospekten. Ein Fenster mit einer hellen Gardine.
    »Ihre Nummer?«
    Schilff hob die Hand. Verwundert sah er auf seine Faust. An den Fingerkuppen spürte er Schweiß. Das ärgerte ihn. Zwischen der Sekunde, in der er den Schweiß bemerkte, und der nächsten, in der er die Faust mit dem zerknüllten Zettel öffnete, entstand ein Riss.
    Und dieser Riss war wie das Fenster hinter der Frau im weißen Kittel.
    Und er sah überdeutlich, was er in kurzer Zeit tun würde. Unabhängig davon, welches Ergebnis er erfuhr. Nie hatte er etwas klarer vor sich gesehen. Noch nie war er sich so sicher gewesen.
    Die Entscheidung war gefallen. Er faltete den Zettel auseinander. Und seine Hände trockneten.
    »Eins-zwei-neun-acht-vier«, sagte er.
    »Und Ihr Codewort?«
    »Süden.«
    Die Frage von Dr. Silk hatte ihn überrascht. Er hatte eine Weile überlegt und dann an den Kommissar denken müssen. Und die Idee komisch gefunden. So komisch, dass der Arzt ihn gefragt hatte, worüber er sich amüsiere. Und Schilff hatte gesagt, über nichts.
    »Alles in Ordnung«, sagte die Ärztin, die ihren Namen genannt hatte. Aber er hatte nicht zugehört.
    Im Treppenhaus fühlte er sich nicht im Geringsten erleichtert.
    Fast enttäuscht. Was ihm absurd erschien. Und auch wieder nicht. Jetzt begann das Warten. Zwölf Wochen. In dieser Zeit musste er so tun, als wäre irgendetwas anderes wichtig.
    »Alles in Ordnung«, sagte er laut auf der Straße. Dann schlug er mit dem Kopf gegen eine Tür. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie verschlossen sein könnte. Im Laden war es dunkel. Montag war Ruhetag, las er auf dem Schild. Scheißdeutschland. In Amerika gibts Friseure, die haben bis Mitternacht auf. Jeden Tag.
    Schilff beschloss, einem alten Freund einen Besuch abzustatten. Einem verlogenen, feigen Freund.
    In der Mitte des Zimmers stand ein käfigförmiger Bastkorb.
    Sonst war die Wohnung leer. Gegen die geputzten Fensterscheiben fiel Regen. Alle Türen standen offen.
    Sogar in verlassenem Zustand sah die große saubere Wohnung einladend aus.
    Die beiden Männer standen sich gegenüber, Max Schilling neben dem Bastkorb, im weißen Hemd und blauen Jackett. Niklas Schilff an der Tür, mit nassen Haaren, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Schilling hatte Schritte auf der Treppe gehört. Er war in den Hausflur gegangen und als er den Reporter heraufkommen sah, in die Wohnung zurückgekehrt.
    »Was soll das?«, fragte er seinen Besucher.
    »Was?«
    »Dieser Auftritt.«
    »Ich bin wieder in der Stadt.«
    »Das weiß ich, die Polizei hat mich nach dir gefragt.«
    »Tabor Süden?«
    »Wer?«
    »Ziehst du um?«
    »Wir haben uns nichts mehr zu sagen.« Schilling nahm die Hand aus der Hosentasche und griff nach dem Korb.
    »Ich bin wegen dir wieder hier«, sagte Schilff. Wischte sich über das nasse Gesicht und schüttelte den Kopf wie ein Hund. »Ich hab drüben alles aufgegeben. Hier hab ich nichts.
    Ich hab keine Ahnung, was ich hier soll. Du hast mich fertig gemacht, und ich möchte wissen, wieso. Ich will, dass du mir das ins Gesicht sagst und dir deine E-Mails in den Arsch schiebst. Okay?«
    »Du hast jeden Kontakt zur Realität verloren, Niki. Du hast uns jahrelang belogen und jetzt gibst du mir die Schuld? Ohne mich wärst du ein Zeilenschinder in der Provinz geblieben, ich hab dich zum ›Magazin‹ gebracht, durch mich bist du überhaupt in die Branche reingekommen. Und jetzt verzieh dich, ich habs eilig!«
    »Du hast immer gewusst, wie ich schreibe«, sagte Schilff. Er knöpfte sich den Trenchcoat auf.

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