Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
»Ich hab Unterhaltung gemacht, ich hab die Sachen so geschrieben, dass sie gut klingen, dass sie die Leute ansprechen, die jungen Leute, die Leser in den Magazinen, in deinem Magazin…«
    »Du hast Lügen verbreitet und sonst nichts!«
    »Glaubst du, Sharon Stone sagt die Wahrheit, wenn ich mit der rede? Glaubst du das im Ernst?«
    »Du hast ja nicht mit ihr geredet! Du hast uns ein Interview mit ihr geschickt, das hast du dir ausgedacht in deinem kranken Kopf.«
    »Was ich mir ausdenke, ist besser als das, was diese Leute sagen. Deine Leser würden dir weglaufen, wenn du den Scheiß drucken würdest, den diese Leute dir erzählen.«
    »Welche Leute, Niki, welche Leute meinst du? Die Schauspieler, die Dealer, die Bettler, die Hell’s Angels, die Verrückten da unten in San Diego, diese Typen, von denen kein Mensch weiß, ob sie überhaupt existieren? Wir haben dir hunderte von Geschichten abgekauft, tausende hast du in Deutschland verkauft, und alles bloß Lüge und Wichserei…«
    »Du hast Preise gekriegt für meine Storys, und es hat sich nie jemand beschwert. Und kaum kommt einer daher und sagt, da stimmt was nicht, da knickst du ein und bist feige. Feige, Max, höchst feige, Herr Doktor Schilling!«
    »Ich hab das Magazin zu dem gemacht, was es heute ist, und du hättest es fast geschafft, alles kaputt zu machen. Und die einzige Chance, das zu verhindern, war, dass ich gehe, dass ich die Redaktionsleitung niederlege und mir einen neuen Job suche.
    Und das hab ich dir zu verdanken, du Wichser!«
    »Die Wirklichkeit ist kubistisch, hast du vergessen, was dieser polnische Schriftsteller gesagt hat? Die Wirklichkeit ist kubistisch. Es gibt nicht nur eine Perspektive, es gibt viele, und die des Autors ist die entscheidende, denn er trifft die Auswahl.
    Was Realität ist und was nicht, das entscheiden wir, du als Redakteur, ich als Autor, wir machen gemeinsam Wirklichkeit.
    Und ich hab dir dieses Ziel geliefert. Ich war neun Jahre in Amerika, neun Scheißjahre, ich hab Tag und Nacht nichts anderes getan als dir Wirklichkeit besorgt. Ich hab sie dir zurechtgeschnitten, damit sie in dein Magazin passt. Du hast Auflage mit mir gemacht, hohe Auflage. Du hast Preise gekriegt. Ich bin kein Synchronsprecher! Ich hab eine eigene Stimme, ich spiel meine eigene Rolle, nicht die eines anderen, ich bin es, der agiert! Das bin ich! Das ist mein Körper! Das ist mein Geist! Meine Stimme!«
    »Du bist verrückt, Niki, du bist krank, du musst zu einem Psychiater.« Schilling stellte den Korb wieder hin. Er hatte kein Bedürfnis weiterzureden. Doch aus einem ihm unbegreiflichen Grund schaffte er es nicht, den Eindringling aus der Wohnung zu jagen.
    »Ich weiß, dass ich nur ein Journalist bin«, sagte Schilff laut.
    »In deinem Nachwort hast du mich einen Erzähler genannt.
    Wer ist also der Lügner von uns beiden? Eigentlich hätte der Deutsche Presserat dich rügen sollen, nicht mich. Du hast die Öffentlichkeit belogen, du weißt, was ich bin. Trotzdem hast du mich einen Erzähler genannt, sogar einen, der es versteht, mit der Sprache zu jonglieren…«
    »Werd erwachsen, Niki! Du drehst durch, du bringst alles durcheinander. Du schickst uns Jahre lang erfundene Interviews und Reportagen und jetzt wirfst du mir vor, dass ich dich nicht rechtzeitig durchschaut hab? Dass ich ein Nachwort für ein Buch geschrieben hab, das aus lauter Fiktionen besteht? Woher hätt ich das wissen sollen? Wie hätt ich das rauskriegen sollen? Hätt ich jeden Artikel von dir gegenrecherchieren sollen?«
    »Du hast gewusst, dass ich ein Erzähler bin, du hast es selbst geschrieben! Du hast gewusst, dass ich ein Künstler bin! Dass alles, was ich schreibe, subjektiv ist! Du selber hast mir den Auftrag erteilt, so zu schreiben, am Anfang, hast du das vergessen? Das Subjektive ist die einzige Sichtweise, die interessant ist, das waren deine Worte. Wann war das, Max? Vor zehn Jahren? Vor zwölf Jahren?«
    Schilling sah sein Gegenüber ausdruckslos an. Dann blickte er unwillkürlich zum Fenster. Der Regen hatte aufgehört. Auf jeden Fall fiel er nicht mehr gegen die geputzten Scheiben.
    »Was willst du von mir?«, sagte Schilling und bückte sich erneut nach dem Korb.
    »Ich will, dass du dich dafür entschuldigst, dass du mein Leben zerstört hast«, sagte Schilff.
    Schilling warf einen letzten Blick in das angrenzende leere Zimmer. Dann ging er, den Korb in der Hand, zur Wohnungstür. Er zog den Schlüssel aus der Jacketttasche und steckte ihn ins

Weitere Kostenlose Bücher