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Blutlied -1-

Blutlied -1-

Titel: Blutlied -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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London, 1882
     
     
    Sie schwebte über ihm.
    Sein Gesicht, umrahmt von schulterlangen schwarzen Haaren war noch genauso markant und interessant wie vor zwei Jahren. Frederic Densmore war eine beeindruckende Persönlichkeit. Was sie jedoch am meisten an ihm fasziniert hatte und noch immer ihr Herz zum Bersten bringen wollte, waren seine Augen. Dunkelbraun, tief und dunkel wie die Seen von Salisbury, einnehmend und ehrlich.
    Nun waren diese Augen rot und glühten teuflisch!
    Sie schwebte über ihm und streckte ihre Hände nach ihm aus. Einmal nur noch wollte sie ihn empfinden, ihn berühren, die schmalen Wangen streicheln, ihn küssen, seine warmen Lippen spüren und hören, wie er ihr zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Aber das gelang nicht.
    Wie stets nahm er sie nicht wahr. Wie sollte er auch? Er gehörte weder der Welt der Lebenden noch der der Toten an.
    Gab es keine Möglichkeit, zu ihm zurück zu kehren?
    Zauber oder Magie vielleicht?
    Würde sie noch Ewigkeiten bei ihm sein, ohne dass er davon wusste und unendlich lange mit ansehen müssen, wie er sich quälte und wie sehr er unter ihrem Verlust litt, miterleben, in welcher Hölle er gefangen war, seitdem er zu den Unsterblichen gehörte?
    Genügte nicht die Kraft der Liebe, von der man sagte, sie könne Welten überwinden?
    Nein, diese Welt konnte man nicht überwinden.
    »Ich liebe dich noch immer, werde dich bis in alle Ewigkeiten lieben ...«, flüsterte sie. Manchmal meinte sie, etwas in ihm zu berühren. Dann schnellte sein Kopf hoch, seine Augen starrten verwirrt. Es war, als suche er etwas, als habe ihn ...
    ein Geist gestreift!
     

     
    Frederic Densmore strich mit den Fingerspitzen über die Daguerotypie, die man neuerdings Foto nannte. Das Bild zeigte ihn mit einer jungen, bildhübschen Frau. Es war während ihrer Hochzeitsreise vor den Pyramiden von Gizeh aufgenommen worden. Es war die schönste Zeit seines Lebens gewesen, eine Zeit der Liebe und des Glückes.
    Er erinnerte sich daran, wie er Caroline Asbury-Bailey kennen gelernt hatte und verdrängte den Gedanken gleich wieder, denn er war unerträglich.
    Die Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut, dachte er. Alle Freude war ihm vor zwei Jahren genommen worden. Geblieben waren Einsamkeit, Verbitterung und Hass. Eine Daguerotypie aus Ägypten und ...
    Hunger!
    Der Hunger war grauenvoll, denn er machte ihn zu einer Bestie und nahm ihm die Menschlichkeit.
    Ludwig, der Butler, trat ein und brachte ihm die Holzkiste. Er stellte sie neben den Schreibtisch. Diskret entfernte sich der alte Mann, nicht ohne einen mitfühlenden Blick auf die Kreatur geworfen zu haben, der er schon seit mehr als zwanzig Jahren diente.
    Damals, bevor das Unglück geschah, hatte Frederic Densmore sich, philosophisch erkennend, als ein Doppelwesen aus Gott und Tier gesehen. Nun wusste er, dass diese Ansicht gegenüber den Tieren ungerecht war. Er war ein Doppelwesen aus Gott und Teufel !
    Shakespeare hätte eine Tragödie über ihn verfasst. Schmerz der nicht spricht, erstickt das volle Herz und macht es brechen! Shakespeare, dessen Werke Frederic über alles liebte, hatte dies geschrieben und er hatte Recht gehabt.
    Alles Logische hatte auf Frederics Denken schon immer einen Zwang ausgeübt, dem es sich nicht entziehen konnte. Diese Logik war mit Caro gestorben.
    Geblieben war der Hunger!
    Wenn er wider Erwarten doch Gott und Tier sein sollte, dann ein Raubtier, das schlimmste Monster, welches die Natur sich ausgedacht hatte. Ach, könnte er doch nur sterben. Jedoch der Tod hatte ihn im Stich gelassen. Zumindest war er in weite Ferne gerückt und nicht einfach zu erringen, denn er war in ihm und ein Teil seines verdammten unendlichen Lebens.
    Obwohl Frederic wusste, dass Hass nie mit Hass besiegt werden konnte, strömte Hitze durch seine Adern. Ihm war, als loderten Feuer hinter seinen Augen. Es knisterte und riss in seinem Kiefer, als die Reißzähne ausfuhren. Alles das hatte er
    Ihm!
    zu verdanken. Dem Ungeheuer, das er bis heute nicht gefunden, geschweige denn getötet hatte und an dem er sich rächen wollte, um endlich Frieden zu finden.
    Was er nun tun musste, verabscheute er.
    Er griff in die Holzkiste und zog das frisch geschlachtete Kaninchen hervor. Er schlug seine Zähne in den Kadaver und trank. Er saugte warme Lebenskraft aus dem Tier und während sich sein Hunger zurückzog wie ein drohendes Gewitter, flossen Tränen über Frederics Wangen.
     
     

Zwei Jahre zuvor
     
     
    Caroline Asbury-Bailey

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