Verzeihen
alles mit mir machen lassen?
Du bist jetzt da für mich, du und sonst niemand. Nicht einmal mein Mörder ist da. Aber er wird wieder kommen. Er muss wieder kommen. Er hat einen Plan mit mir, und das ist gut so. Ich lauf nicht weg.
Ich lauf nicht mehr weg. Zuerst habe ich gedacht, Dr. Forster und die Frauen haben Recht, und es gibt eine Zukunft. Aber es gibt nur eine versaute Zukunft. Wir haben das Virus und wir behalten es und dann sterben wir vor der Zeit. Und wir sind selber schuld.
Niemand hat mich gezwungen. Er hat mich sogar höflich gefragt. Ben. Und ich habe mich darüber gefreut. Weil er mit mir schlief wie mit einer Frau und nicht wie mit einer Nutte. Er hat mich umarmt und nicht erdrückt und nicht gequält, er hat mich erregt und mich gestreichelt und mich geküsst. Mit seinen Händen hat er schon viel Geld verdient, überall auf der Welt.
Seine Technik hat nicht jeder, es ist schwer, bei ihm einen Termin zu bekommen.
Das habe ich nie verraten, wie ich es genieße, geküsst zu werden. Hast du mir das beigebracht? Du hast mich geküsst, und ich dich auch. Ich weiß nicht mehr.
Mein Mund ist trocken, ich hab so laut geschrien, meine Lippen sind aufgerissen, ich möchte mich nicht küssen. Verachtest du mich?
Ich kann dich nicht hören. Du bist zu weit weg. Deswegen kommst du auch nie in meine Träume. Weil du zu weit weg bist. Deswegen hörst du mich auch nicht, und du wunderst dich darüber.
Das war nicht gut, dass du weggegangen bist am zweiundzwanzigsten April. Das war nicht gut. Ich kam nach Hause, und du warst nicht mehr da. Frau Kunert war da, sie wartete schon auf mich, und ich wusste sofort alles. Es gab gar keinen Grund alles zu wissen. Du warst nie krank, zuvor bist du nie einfach umgefallen, du warst immer gesund. Im Gegensatz zu mir, ich war dauernd krank und leb immer noch.
Ich werf dir nichts vor, das hab ich auch damals nicht getan, ich wollt nur wissen, warum.
Warum warum, das fragt man so, warum warum, wenn man ein Kind ist, warum warum, und manche fragen das ihr ganzes langes Leben lang, warum warum.
Erzähl mir noch was, meine hübsche Hochwohlgeborene. Gleich, gleich.
25
M it seinem Vater zu sprechen fiel ihm leicht.
Sein Vater hörte immer zu. Niklas brauchte ihn nur anzusehen, schon stellte er eine Frage. Und Niklas durfte sich für die Antwort Zeit lassen. Seine Mutter hatte nie viel Geduld. Dafür las sie ihm Gedichte vor. Oder spielte eine Szene aus dem Stück, das sie gerade probte. Dann war Sprechen streng verboten. Und wenn sie ihn hinterher fragte, wie es ihm gefallen habe, musste er sagen, toll. Vielleicht musste er das gar nicht und er bildete sich nur ein, etwas Nettes sagen zu müssen. Er hatte nie etwas anderes gesagt. Und seine Mutter küsste ihn dann auf die Stirn.
Und er warf schnell einen Blick in ihren Ausschnitt. Dorthin, wo dieser Duft herkam, den kein Koma zerstören konnte.
Mit De Niro, das war einfach. Die Kollegen sagen, der zickt rum, der lässt dich einfach stehen, wenn er keine Lust mehr hat, er will das Interview hundertmal gegenlesen, er zieht alle Aussagen zurück. Nicht bei mir. Ich traf ihn im »Stinking Rose«. Ich dachte, Silvio fallen die Oliven aus der Hose, wenn er mich mit De Niro reinkommen sieht. Und genauso wars auch.
Du hättest ihn sehen sollen! Er hat uns mindestens eine Minute lang angegafft. Wortlos. Dabei hat er seit seinem zweiten Lebensjahr garantiert keine Minute mehr geschwiegen.
De Niro kannte das Lokal, er war schon mal da. Aber Silvio hat ihn nicht erkannt, du weißt, der Mann hat viele Gesichter. Das »Stinking Rose« liegt am La Cienega Boulevard, Beverly Hills.
Ich zeigs dir, wenn du mich mal besuchen kommst. Das ist angenehm da. Da gibts kleine Tische in einem Nebenzimmer, ideal für Interviews oder Rendezvous… Wir haben irgendwelche Nudeln gegessen, mit einem Kilo Knoblauch drauf. De Niro hat das Essen in sich reingeschaufelt, als habe er eine Diät hinter sich. Und beim Essen hat er dann mit mir gesprochen. Über seine Arbeit, seinen neuen Film, seine Freundschaft zu Scorsese und Keitel. Die drei sind ja uralte Freunde. Du weißt, sie haben »Taxi Driver« zusammen gemacht. Wir haben über alles Mögliche gesprochen. Sein Handy klingelte, er ging nicht ran. Das ist absolut ungewöhnlich für so einen großen Star. Ungefähr eineinhalb Stunden waren wir im »Stinking Rose«. Niemand hat uns belästigt. Silvio hat niemand erzählt, dass ich nebenan mein Interview mach. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber
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