Die Formel der Macht
PROLOG
J oseph Malone rechnete seit sechs Monaten mit seinem Tod. Nur ein Idiot hätte die Gefahr, in der er schwebte, nicht erkannt, und er war ein Idealist, kein Idiot. Da sich seine Forschungen im letzten Stadium befanden, war er meistens zu beschäftigt, um sich zu fragen, wie sie ihn töten würden, aber wenn die Nächte besonders heiß waren und der Schlaf nicht kommen wollte, lag er in seiner Hängematte und grübelte darüber nach. Ihre übliche Methode war eine Kugel in den Rücken – nur, dass sie nicht wussten, wo er sich aufhielt. Die Ignoranz, die sie dem Regenwald entgegenbrachten, war sein Glück. Solange er sich hier verborgen hielt, war er sicher.
Leider konnte er nicht für immer, beschützt von der üppigen Extravaganz der Natur und der grimmigen Loyalität der Xuaxanu, im Regenwald bleiben. Nicht, wenn er seine Ziele erreichen wollte. Deshalb hatte er mit größter Umsicht und noch größerem Widerstreben Pläne für eine Reise in die Vereinigten Staaten geschmiedet. Fernando hatte ihm vor ein paar Wochen seinen persönlichen Schutz angeboten, den er jedoch abgelehnt hatte. Allerdings nicht, weil er Fernando nicht getraut hätte. Seltsamerweise hatte er, nachdem sie jahrelang auf verschiedenen Seiten gekämpft hatten, in letzter Zeit für Fernando eine Hochachtung entwickelt, die fast schon an Zuneigung grenzte.
Nein, es war kein Mangel an Vertrauen, der Joseph veranlasst hatte, Fernandos Hilfe abzulehnen, sondern die mangelnde Geheimhaltung. Er glaubte schlicht nicht, dass Fernando sich an sein Versprechen würde halten können. Auch wenn Fernando einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt war, war er doch machtlos gegen das riesige Ausmaß an Korruption, von dem die Polizeistreitkräfte in Amazonien durchsetzt waren. Deshalb hatte Joseph, nachdem er gespürt hatte, dass es langsam brenzlig für ihn wurde, das versteckte Dorf, in dem die Xuaxanu lebten, verlassen und war mit dem Kanu und dem Motorboot nach Manaus gefahren, der Stadt, die sowohl der Zugang zu den entlegensten Regionen im Amazonasgebiet wie auch das Sprungbrett für Reisen in den Rest der Welt war.
Er hatte alles getan, um seine Reise geheim zu halten. Trotzdem war er am Flughafen hellwach, weil er jeden Moment mit einem Anschlag rechnete und jedes Mal, wenn er mit einem durchgeschwitzten, unterbezahlten Beamten der weit entfernten Zentralregierung konfrontiert wurde, eine Verschwörung witterte. Doch nichts passierte. Er flog von Manaus nach Recife und stieg dort in den Jumbo in die Vereinigten Staaten um. Sein Ziel war Washington D.C., wo er sich mit Fernando treffen wollte, aber er hatte beschlossen, über Miami zu fliegen, weil er so schnell wie möglich amerikanischen Boden erreichen wollte, in der Hoffnung, dass er sich dort sicherer fühlen würde.
Amerika. Sein Vaterland. Land der Tapferen und Heimat der Freien. Als Heranwachsender hatte er sich über den Patriotismus der meisten Amerikaner zynisch geäußert und über ihren arroganten Glauben, die Vereinigten Staaten seien das beste Land der Welt, gespottet. Doch nach drei Jahren in Brasilien war er eher geneigt, sich von dem, was die Vereinigten Staaten ihren Bürgern boten, beeindrucken zu lassen. Im Vergleich zu der Korruption, die er in den Barackensiedlungen, die sich am Ufer des Amazonas entlangzogen, vorgefunden hatte, war das politische System der Amerikaner geradezu ein Musterbeispiel an Rechtschaffenheit und Effizienz. Kein Wunder, da so viele von ihnen Pioniere und bereit gewesen waren, größte Risiken auf sich zu nehmen. Es war leicht, die Verhaltensweisen der Tapferen zu übernehmen, wenn man sich in der Sicherheit wahrer Freiheit wiegen konnte.
Der Flug von Recife nach Norden war wie immer lang und ereignislos. So ereignislos, dass in Joseph eine leise Hoffnung aufzusteigen begann. Die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch mit heiler Haut davonkam. Die Hoffnung, dass er und Fernando vielleicht doch noch lange genug lebten, um sich wie geplant in D.C. treffen zu können. Die Hoffnung, dass Summer Shepherd nie die CD entschlüsseln musste, die er vom Flughafen in Recife abgeschickt hatte.
Doch zwanzig Minuten nach der Landung in Miami wurde ihm klar, dass ihn seine Hoffnung getrogen hatte. Er war noch nicht einmal durch den Zoll, und schon begannen die Probleme. Frustriert beobachtete Joseph, wie ein amerikanischer Zollbeamter mit entschlossener Sorgfalt seinen Koffer durchwühlte. Das ist keine Routinedurchsuchung, dachte er grimmig. Man
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