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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Rübsam und Sofie in der Tür standen.
    »Luzie, mein Gott, was ist denn passiert, du bist ja ganz blass!« Herr Rübsam ging vor mir in die Knie und klopfte mir auf die Wangen. Er wäre auch blass gewesen, wenn er sich hätte ansehen müssen, was ich mir gerade angesehen hatte.
    »Geht schon«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Hab wohl was Falsches gegessen.« Hoffentlich hatte Leander es heil bis nach draußen geschafft. Hoffentlich …
    »Luzie …!?« Herr Rübsam schnüffelte wie ein Fährtenhund und seine Besorgnis verwandelte sich flugs in Misstrauen. »Ich rieche Alkohol. Hier riecht es nach Alkohol. Du riechst nach Alkohol!« Anklagend zeigte er auf meine Hose, wo ein großer, feuchter Bierfleck prangte.
    »Ich hab nix getrunken, ehrlich. Hier war eine Bierlache auf dem Boden, als ich ins Zimmer gekommen bin, aber die war nicht von mir, sondern von … von …«
    »Vom heiligen Geist, was?« Herr Rübsam schnappte sich mein Handgelenk und zog mich nach oben. »Meine liebe Luzie, ich kann eins und eins zusammenzählen. Hier riecht es nach Alkohol und dir ist übel. Du hast getrunken! Weißt du, was das bedeutet? DEINE MUTTER BRINGT MICH UM!« In seinen Augen flackerte Panik auf.
    »Sie muss es ja nicht erfahren«, beschwichtigte ich ihn. »Außerdem hab ich nichts getrunken. Ich hab noch nie was getrunken, ich schwöre es …«
    »Zu mir ins Zimmer!«, befahl er. »Dort nüchtern wir dich erst mal aus und dann überlege ich, wie es weitergeht. Oh Herr im Himmel, wie soll es nur weitergehen?«
    Herr Rübsam machte ernst. Zehn Minuten später hatte er mich auf sein Bett gelegt, vorsorglich einen Eimer danebengestellt, mir ein Glas Wasser gebracht und verkündet, sich mit Frau Dangel wegen weiterer Schritte zu beraten. Ich hatte ihn mehrmals angehaucht, um ihm zu beweisen, dass ich nichts getrunken hatte, doch das interessierte ihn nicht. Jetzt war ich in seinem Zimmer eingeschlossen und konnte nicht nach draußen, wo Leander voll wie eine Haubitze auf dem Burghof herumstakste.
    Ich öffnete das Fenster und lehnte mich weit hinaus.
    »Leander?«, rief ich gedämpft. Mir war völlig gleichgültig, ob mich jemand hörte oder nicht. Ich war offiziell betrunken. Da war alles erlaubt. »Bist du da?«
    Keine Antwort. Mit pochendem Herzen sah ich mich um. Es war eine dunkle Nacht, doch nun kämpfte sich ein fahler Mond zwischen den Wolken hindurch und warf wild gezackte Schatten auf die Burgmauern über dem Schwimmbad. Nanu? Einer der Schatten bewegte sich. War ich doch betrunken? Ich schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Nein, ich war nicht betrunken. Und das war auch kein Schatten. Es war eine Gestalt, die mit ausgebreiteten Armen die Mauer entlangbalancierte, eine Gestalt mit nackenlangen Haaren, zerlöcherten Jeans und im Nachtwind flatternden Fransen eines Stirntuchs …
    Ich musste sofort zu ihm. Was suchte er da oben? Das, was er hier tat, war schon nüchtern und am helllichten Tag höllisch gefährlich, aber nun war es stockfinster und er betrunken. Wie hatte er gesagt? Alkohol verursachte verlangsamte Reaktionen. Nichts war beim Klettern und Balancieren schlimmer als verlangsamte Reaktionen. Das hatte auch Seppo uns immer wieder eingebläut. Niemals trinken und Parkour machen. Und das, was Leander hier tat, war Parkour – oder wenigstens so etwas Ähnliches. Er würde abstürzen, wenn ihm nicht jemand da runterhalf. Und er hatte einen Körper. Ich konnte ihn sehen, aus mindestens zwanzig Meter Entfernung … Wenn er einen Körper hatte, konnte er sich auch verletzen. Er konnte sterben!
    Ehe ich meine Gedanken zu Ende führen konnte, hockte ich auf dem Fensterbrett, setzte meine Füße auf den Dachfirst und schob mich bäuchlings bis an die Ecke des Hauptgebäudes, wo sich ein Wasserrohr nach unten wand. Wunderbar – das hatte ich schon oft getan, mich an Rohren entlangzuschlängeln. Denn fast jedes Rohr war in regelmäßigen Abständen mit Metallklammern an der Wand befestigt, an denen man sich mit den Füßen und Händen abstützen konnte. Und das war auch bei diesem Rohr der Fall. Kurz vor den Fenstern des Erdgeschosses holte ich Luft und sprang. Knie anziehen, weich landen, nach vorne abrollen – perfekt.
    Im Laufschritt steuerte ich das Schwimmbadgelände an. Leander befand sich noch immer auf der Ruine und nun hörte ich ihn auch singen. »Nights in white Satin … never reaching the eeeend …« Ja, da sagte er was Wahres. Diese Nacht schien kein Ende zu nehmen und sie wurde immer

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