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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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sich für den Genuss jedes nicht auf seine ökologische Korrektheit überprüften Schokoriegels schämen.
    Aber es ist nicht nur der Puritaner in uns, der die Zähne zusammenbeißt und in der Tretmühle weiterläuft. Es ist auch der Druck durch Wirtschaft und Politik. Zum Wachstum kennen sie keine Alternative. Wer aus der Wachstumsspirale aussteigen will, ist ein Verräter des Vaterlands, Europas. Er ist schuld, wenn uns China überholt und wir im Alter von Brotsuppe und Grießbrei leben müssen. Im Sozialstaat werden wir im Widerstand gegen das enorme Veränderungstempo keinen Unterstützer finden. Im Gegenteil. Ihm geht es wie dem Konsum: Beide haben nie genug und kennen keine Grenze der Expansion. Ohne Wachstum hat auch der Sozialstaat Finanzierungsprobleme, und kaum ein Bereich unserer Wirtschaft ist derart auf Expansion angelegt wie die Sozialindustrie. Der Sozialstaat hat durch die soziale Sicherheit und auch durch die Umverteilung viel von der »schöpferischen Zerstörungskraft« des Kapitalismus abgefangen und zur Lebenszufriedenheit beigetragen, aber eine Idee des guten Lebens hat er nicht. Das 4. Kapitel beschreibt dieses Dilemma und zeigt, dass der »Glaubenskrieg« zwischen Kapitalismus und Wohlfahrtsstaat ein Showkampf um Heilsversprechen ist, wobei beide in der Praxis alles dafür tun, damit das System auf unendliche Expansion programmiert bleibt. Eine Alternative zum Überbietungswettbewerb des Kapitalismus ist der Sozialstaat jedenfalls nicht.
    Ständige Selbstprüfung war schon eine heilige Pflicht des Puritaners. Das 5. Kapitel zeigt, dass erst der moderne Mensch es darin zur Perfektion bringt. Wir stehen unter dem Imperativ der Selbstentfaltung und Selbstinszenierung. Das verlangt, dass jeder so tun muss als sei er besonders erfolgreich und immer gut drauf. So ist auch das Glück unter den Zugriff der Machbarkeit geraten. Wer nicht glücklich ist, zeigt nur, dass er nicht hart genug an sich arbeitet und seine Chancen verspielt. Das erzeugt Schuldkomplexe und Selbstvorwürfe, ganz, wie es schon die alten Calvinisten liebten.
    Von Anfang an setzte der Puritanismus auf harte Arbeit und die Maximierung des Nutzens. Damit ist er weit gekommen. Wir verdanken ihm zwar den Einzug einer Denkweise des produktiven Wirtschaftens, und dies hat dem Westen zweifellos Wohlstand gebracht. Das hatte aber auch seinen Preis. Für Glück haben die Puritaner bis heute nichts übrig. Sie haben mit ihrer Maximierungsideologie die aristotelische Kultur des »guten Lebens« zerstört. Diese ist eine Glückslehre, die die Lebenszufriedenheit in einer Balance zwischen den Extremen sieht. Wer nur lebt, um zu arbeiten, verfehlt sein Glück ebenso zielsicher wie einer, der nur in asketischer Bescheidenheit verharrt. Es geht um die gesunde Mitte, um eine Philosophie der Entschleunigung. Wir müssen den Puritaner in uns loswerden, wenn wir uns von den manischen und depressiven Zügen des westlichen Kapitalismus befreien wollen.
    Die wichtigste Einsicht dazu ist, dass wir das Steigerungsspiel nicht gewinnen können. Für mich war der Zusammenbruch der Finanzmärkte nach dem Lehman-Bankrott der Anlass, die Prioritäten, die der Kapitalismus setzt, noch mal zu überdenken, vor allem seine Grundlagen in der puritanischen Theologie: dieser Glaube an effiziente Märkte, die von einer »unsichtbaren Hand« 9 zum Wohlergehen aller geführt werden, sowie die absolute Priorität für Arbeit, Produktion und Geld, unter strenger Vermeidung allen unbefangenen Genießens.
    Der ehemalige Fed-Präsident Alan Greenspan gestand ein, dass »das gesamte intellektuelle Bauwerk (der Marktwirtschaft) kollabierte«. Francis Fukuyama hatte offensichtlich unrecht, als er meinte, das westliche Marktsystem sei »nicht verbesserungsbedürftig« 10 . Das System scheint immer mehr außer Kontrolle zu geraten. Doch seine Protagonisten in den Finanzmärkten setzen unverdrossen auf Expansion. Getrieben von irrationalen Renditeerwartungen zwingen sie uns in eine Beschleunigungsspirale. Immer mehr Bereiche des Lebens sollen ökonomisiert werden, und alles steht unter der Logik des Wettbewerbs und der Rendite.
    Wenn der Kapitalismus derart erschüttert wird wie durch die Finanzkrise, dann kann das nicht ohne Folgen auf sein Selbstverständnis bleiben. Bei der INSM reagierten wir auf den Lehman-Schock frech: Wir casteten einen amerikanischen Schauspieler, der wie Ludwig Erhard aussah, statteten ihn mit Anzug, Krawatte und Zigarre aus, und stellten ihn an die Wall

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