Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
quicklebendig und flexibler geworden. In den Spitzenmanagern begegnen uns heute Leistungsasketen, deren rationale Lebensführung und Effizienz Weber hätten erschauern lassen.
Im 1. Kapitel schildere ich, wie lebendig die protestantische Arbeitsmoral heute ist und dass unser Hauptproblem darin besteht, dass wir der Arbeit zu viel Bedeutung in unserem Leben geben, gerade weil wir unseren Selbstwert zu stark von der Anerkennung im Beruf ableiten. Glück empfinden wir dabei nur sehr begrenzt, denn in allen Umfragen geben die Menschen an, dass sie eigentlich viel lieber weniger arbeiten würden. Unsere intrinsisch aufgeladene protestantische Arbeitsmoral hindert uns aber daran, uns den anderen Quellen des Glücks, also Familie, Freunden, Hobbys, zuzuwenden. Was die Fixierung auf Arbeit und die Bedeutung von Geld und Erfolg betrifft, sind wir seit Max Weber keinen Schritt vorwärtsgekommen.
Warum sind wir eigentlich nicht längst im reichen Westen zu kunstvollen Genießern geworden? Ich habe niemanden getroffen, der nicht zumindest in diesem Punkt zugestimmt hätte: Wer sich genauer anschaut, wofür wir alle so unser Geld ausgeben, der muss enttäuscht sein. Zu leben verstehen wir nicht, zumindest besteht da noch viel Entwicklungsspielraum. Hat es sich gelohnt, dafür so viele Schulden zu machen?
Wie aus dem ursprünglichen Sparkapitalismus ein Konsumkapitalismus werden konnte, der einer spezifischen Steigerungslogik unterliegt, untersuche ich im 2. Kapitel. Dass wir stetig auf der Jagd nach etwas Neuem sind, dass wir heute Produkte danach befragen, was sie zu unserer Selbstentfaltung beitragen können, dass wir uns zunehmend als einzigartig inszenieren, hat ebenfalls mit einer Umpolung unserer Mentalität seit den 1960er Jahren zu tun. Wieder sind es die romantischen Künstlerideale, die die Veränderung bewirken. Sie wandern in unser Konsumverhalten ein. »Nichts ist unmöglich«, verspricht Toyota, »Ändere dein Schicksal!«, befiehlt Vodafone.
»Der neue Kapitalismus unterdrückt uns durch jene Slogans, die uns einst befreien sollten« 8 , klagt der Alt-68er Pascal Bruckner. Das Streben nach Erlebnisintensität, nach Abwechslung und Einzigartigkeit ist das größte Geschenk, das die Gegenkultur der 68er der Konsumindustrie machen konnte, denn es sorgt für Nachfrage, und noch schöner: Das »romantische Selbst« kann nie zufriedengestellt werden. Doch der Druck zur permanenten Selbstinszenierung erzeugt nicht Konsumglück, sondern Erschöpfung.
Sicherlich am ursprünglichsten ist der Puritanismus in der Moral geblieben, nämlich humorlos, kalt, autoritär, verklemmt. Um den einzelnen Menschen immer weiter zu verbessern und die Gesellschaft zu perfektionieren, bedient sich der Puritanismus seit jeher der politischen Korrektheit. Wir sind einer Steigerungslogik unterworfen, die auch die Moral erfasst hat. Wie uns ein Korsett an Vorschriften – Compliance-Richtlinien, Shitstorms, Ökosittenpolizei – bis ins Privatleben hinein drangsaliert, beschreibt das 3. Kapitel. Tugendterror und die Dauerherrschaft des schlechten Gewissens sind eine Einrichtung zur Verhinderung von Entspannung und Zufriedenheit.
Warum gehen wir nicht längst auf die Barrikaden und wehren uns gegen den Beschleunigungsdruck, die psychische Erschöpfung und den Dauermoralismus? Der wichtigste Grund ist: Der Puritaner in uns verhindert die Rebellion, er unterwirft sich der Arbeitsdisziplin, dem konsumistischen Wettlauf, und er kuscht vor seinem schlechten Gewissen.
Wie soll der intrinsisch motivierte Workaholic, der vom Lob seines Chefs träumt und dessen Persönlichkeit an seinen Projekten hängt, den inneren Abstand gewinnen? Erst wenn’s im Privatleben kriselt und die Ermüdungserscheinungen überhandnehmen, wird er den Mut für Veränderungen aufbringen. Wir haben es so weit kommen lassen, dass wir mehr stolz darauf sind, wie fulminant wir uns abarbeiten, als darauf, wofür wir uns abarbeiten. Für was allein das Wort »kreativ« herhalten muss! Sogar die Pflege des Twitter-Accounts eines Staubsaugerherstellers gilt als »kreativ«. Hinzu kommt, dass die Konsumkritik zahnlos geworden ist, seit die Künstlerwerte die Jagd nach dem Neuen, Außergewöhnlichen und Unverwechselbaren legitimieren. Jede Konsumkritik wird so unversehens zur Kritik an Lebensstilen, und davor scheuen wir verständlicherweise zurück. Nur im Namen des unruhigen Ökogewissens darf hemmungslos kritisiert werden. Da muss man sich für jede Fernreise rechtfertigen und
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