Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
stärker.
Und dann sprang doch eine Flamme aus dem Feuerzeug, ich hielt sie an die benzingetränkte Lunte und dachte für den Bruchteil eines Augenblicks, alles würde nun gut werden, und summte: Burn, motherfucker, burn! Als ich den Arm mit dem brennenden Molly hob, war die Euphorie schon wieder fort.
Mörder , zwang ich mich zu denken, aber ich konnte den Molly nicht werfen, nicht auf dieses elend saubere Auto.
Wie konntest du nur? , sagte die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, obwohl ich noch gar nichts getan hatte.
Trotz Regen brannte die Lunte so stark, dass ich sie nicht auspusten konnte. Überall standen Häuser und Autos und ich mittendrin, reglos und ratlos, weil ich nichts davon zerstören wollte. Und schon gar nicht wollte ich selbst brennen. Fluchend rannte ich los, weil ich mich an einen Mülleimer an der Straßenlaterne zwei Häuser weiter erinnerte.
Wütend schmetterte ich den Molly hinein. Müll war nichts wert, Müll durfte vernichtet werden. Das Glas barst und nichts geschah, die Flamme verlosch. Nichts, absolut gar nichts bekam ich auf die Reihe.
Ich trat gegen den Eimer und schlich zu meinem Rad zurück, stieg in den Sattel und trat in die Pedale. Bei jedem Tritt dachte ich: Versager.
Als ich mich etwa siebenunddreißig Mal beschimpft hatte, hielt ich an und sperrte das Rad an eine Laterne. So schnell gab ich nicht auf. Entschlossen stapfte ich zurück, setzte mich wieder auf den Verteilerkasten und starrte auf das dunkle Haus.
Gerber war sechsundvierzig Jahre alt, geschieden, zwei Töchter, Maschinenbauer. Das hatte in der Zeitung gestanden, ob die Beifahrerin Birte K. bei ihm wohnte, nicht. Wahrscheinlich manchmal. Manchmal die Töchter. Ich hoffte, er war heute allein und einsam.
Ich zählte die Sekunden bis sechzig und dann wieder und wieder. Die Minuten zählte ich nicht, es war sowieso sinnlos, ich hatte eine Uhr. Alles war sinnlos.
Irgendwann zog ich mir die Kapuze vom Kopf und ließ die Tropfen in mein Haar prasseln. Es spielte keine Rolle, jeder Fetzen meiner Kleidung war durchnässt, kein Stückchen meiner Haut mehr trocken. Warmer Regen rann mir über Stirn, Wangen und Nase und schlug mir beständig auf die Schultern.
Ich dachte daran, die Scheibe der Terrassentür einzuschmeißen. Sollte es ihm doch die ganze Nacht ins Haus schütten und Millionen Glassplitter seinen Boden bedecken; mit etwas Glück würde er morgen früh verschlafen und barfuß hineintappen und käme nur mit blutenden Fußsohlen davon. Eine Pfütze aus Regen, Blut und schneidendem Schmerz.
Unwillkürlich tastete ich die Taschen meiner Cargohose ab, als würde ich üblicherweise Pflastersteine mit mir herumtragen. Ich fand nur meinen schwarzen Permanentmarker. Damit zu werfen, wäre albern. Trotzdem konnte ich etwas tun.
Gründlich blickte ich in alle Richtungen. Die Straße war verlassen, und nur irgendwo drei Häuser weiter brannte noch Licht. Mit dem Marker in der Hand eilte ich hinüber und sprang über das verschlossene Tor. Nun stand ich direkt vor dem Auto, das Christoph getötet hatte, keinen Schritt von ihm entfernt. Unvermittelt begann ich zu zittern.
Arschloch , dachte ich, als könnte das Auto Gedanken lesen und als wäre das eine ausreichende Beschimpfung für ein lebloses Ding, das Christoph getötet hatte. Mein Herz schlug schneller, und ich atmete hastig durch den Mund. Tropfen fielen auf meine geöffneten Lippen, beiläufig leckte ich sie fort.
Langsam zog ich die Kappe vom Stift und tat den letzten halben Schritt. Mit zitternder Hand begann ich den kantigen Umriss eines Menschen auf die Kühlerhaube zu zeichnen. Den schmalen Oberkörper, die hilflos emporgereckten Arme und den schiefen Kopf, alles sehr eckig und schematisch, wie man es in jedem Krimi bei einem Toten auf der Straße sah. In Wirklichkeit hatte ich es noch nie gesehen. Ich hatte auch noch keinen Toten auf der Straße gesehen. Meine Linien waren schwarz, nicht weiß, und dünner. Aber Gerber würde es verstehen.
Jeder würde es verstehen.
Als ich zu drei Vierteln fertig war, hörte ich ein lautes, hohes Lachen auf der Straße. Sofort verharrte ich und lauschte in den sanft prasselnden Regen. Die Schritte von mindestens zwei Menschen näherten sich, Absätze von Damenschuhen klackerten auf dem nassen Asphalt und blieben plötzlich stehen, als könnte die Frau nicht gleichzeitig lachen und laufen, fehlte nur noch, dass sie blond war. Sie japste und gackerte, als wäre das Leben schön. Dann setzten die Schritte wieder
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