Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
1
Ich hatte noch nie zuvor einen Molotowcocktail gebaut. Aber es war nicht schwierig gewesen, die Anleitung fand man im Netz, die Zutaten überall.
Zutaten. Als würde es sich um ein Rezept handeln. Den Kaffeeklatsch möchte ich sehen, bei dem Donauwellen gegen Mollys getauscht werden.
»Machst du deinen auch mit Rum?«
»Nein, Benzin.«
»Und ist er süß?«
»Sollte er. Rache ist süß, heißt’s doch immer.«
Aber ich konnte nichts Süßes schmecken, nur bitteren Tabakrauch auf der kribbelnden Zunge. Ich saß auf dem beschmierten grauen Verteilerkasten, den Rucksack mit dem in drei Plastikbeutel gewickelten Molly neben mir, die Kapuze des schwarzen Hoodies tief in die Stirn gezogen und die dritte Kippe zwischen den Lippen. Sonst rauchte ich nur in Gesellschaft, aber als ich das Feuerzeug kaufte, habe ich Tabak und Papers einfach mitgenommen. Mit dem Molly wollte ich mich nicht allein fühlen.
Ich räusperte mich, aber das Kratzen im Hals blieb.
Es war eine milde Sommernacht und weit nach zwei Uhr, die schmale Straße verlassen. Es gab keinen Durchgangsverkehr durch das unscheinbare Wohngebiet am Rande von Augsburg, das aussah wie jedes andere Wohngebiet bei Nacht. Gleich große Häuser in Reih und Glied, alle Dächer hatten den gleichen Winkel und waren in der gleichen Farbe gedeckt. Die Unterschiede beschränkten sich darauf, mit welchem Zaun man sein Grundstück umgab. Maschendraht, senkrechte, diagonale oder waagerechte Holzlatten, Gitter und Stäbe aus Gusseisen. Die optischen Variationen waren zahlreich, ihre Funktion immer gleich: Sie schnitten das kleine Stückchen aus der Welt, das man sich hart erarbeitet hatte und allein mit seiner Familie besaß. Rebellen stellten sich einen Gartenzwerg mit nacktem Hintern aus der Massenproduktion auf den Rasen, aber in dieser Nachbarschaft hatte ich keinen entdeckt.
Ich hatte auch nicht groß darauf geachtet. Die Zäune, Häuser und Zwerge ließen mich kalt. Das Einzige, was mich wirklich interessierte, war das Auto in der Einfahrt schräg gegenüber. Ein roter Kombi mit einem kleinen Aufkleber der Augsburger Panther auf der Heckscheibe, Kratzern auf der Kühlerhaube und einem Kennzeichen mit der unscheinbaren Zahl 4783. Wenn man 4 und 7 addierte, ergab es ebenso 11 wie 8 und 3, doch das bedeutete nichts, schon gar keine Freundschaft. Der Kühlerrost und die vordere Stoßstange waren nagelneu, der Lack glänzte im Schein der Straßenlampe, als wäre das Auto in der vergangenen Woche dreimal durch die Waschstraße gegangen.
Von hier aus konnte ich die Kratzer nicht sehen, aber ich wusste, dass sie da waren. So klein und so wenige, dass es mich fertigmachte. Haut und Fleisch waren zu weich, um tiefere Spuren zu hinterlassen, es mussten die Zähne, die Uhr oder ein Reißverschluss gewesen sein, vielleicht auch der Lenker, obwohl das Rad unters Auto geraten war.
Das Rad war jetzt Schrott.
Mein bester Freund Christoph tot.
Und der rote Kombi hatte lediglich Kratzer, die man über eine schmale Straße hinweg nicht erkennen konnte, und neue Stoßstangen. Er sah aus wie ein ganz normaler, gepflegter Familienwagen.
Ich drückte auch die dritte Zigarette auf meiner linken Handfläche aus; wenn man es schnell machte, tat es kaum weh. Ich ließ mir Zeit und biss die Zähne zusammen. Dann schmierte ich mit dem Stummel ein kaum erkennbares C um den roten Fleck in der Haut und warf den Stummel über die Straße, aber nicht weit genug, um in Herbert W. Gerbers Garten zu treffen.
Mörder , dachte ich, obwohl sie ihn heute Vormittag freigesprochen hatten.
Ein schrecklicher Unfall, hieß es in der Begründung. Christoph sei ohne Licht unterwegs gewesen und habe die Mittelstreifen zur falschen Straßenseite überquert. Das hatte die Auswertung der Spuren und die gründliche Zeugenbefragung ergeben. Dabei waren die Spuren ein einziges Chaos gewesen, Lack und Blut und Schleif- und Bremsspuren überall auf dem grauen Asphalt, auf beiden Fahrbahnen und quer über den Mittelstreifen hinweg. Wer behauptete, sie lesen zu können, war ein Wichtigtuer. Die einzige Zeugin war Gerbers Beifahrerin gewesen, auf Christophs Seite hatte es niemanden gegeben.
»Lügnerin«, sagte ich leise, aber ich wusste nicht, ob ich mir glauben sollte. Doch wem konnte ich sonst glauben?
Irgendwer musste schuld sein, und außer Gerber kam niemand infrage.
Ganz langsam begann es zu regnen. Kleine, warme Tropfen. Ich blieb sitzen.
Selbst wenn es ein Unfall gewesen sein sollte – wie konnte er
Weitere Kostenlose Bücher