Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
einfach hängen.
Als ich aus ihrem Sichtfeld geraten war, warf ich das Brot in den Rinnstein und legte die Hände zurück auf den Lenker. Sollten sich irgendwelche Vögel darum streiten.
Die Schule war in der nächstgelegenen Kleinstadt, knapp fünf Kilometer entfernt. Dafür brauchte ich an guten Tagen zehn, an schlechten dreizehn Minuten. Es fuhr auch ein Schulbus, etwa hundert Meter vor unserer Haustür, aber den hatte ich seit Wochen nicht genommen. Ich hatte keinen Nerv, mit den anderen zu warten, zu labern und neben ihnen zu sitzen. Auf dem Rad hatte ich meine Ruhe.
In der Schule waren die meisten Arbeiten geschrieben, und die meisten Lehrer ließen mich wegen Christoph in Ruhe. In Mathe bekam ich eine Klausur zurück, zwei Punkte, eine glatte Fünf. Bislang hatte ich auf einer Eins gestanden, mein bestes Fach, ich hatte Zahlen schon immer geliebt. Wenn ich eine sah, versuchte ich irgendwelche Reihen oder andere Verbindungen zwischen ihren Ziffern festzustellen, ich drehte sie um wie ein Spielzeug. Von klein auf hatte ich die Stufen jeder Treppe gezählt, die ich hochgestiegen war oder runter.
»Jan?«, fragte Herr Riedmüller und sah mich prüfend an. Ich zuckte mit den Schultern, und er ging zum Nächsten im Alphabet weiter.
Ich starrte aus dem Fenster und dachte darüber nach, warum ich das verdammte Auto nicht angezündet hatte. Bis zum Unterrichtsende fand ich keine Antwort.
»Kommst du mit an den Baggersee?«, fragte mich Knolle auf dem Weg nach draußen.
»Ich kann nicht.« Letzte Woche hatte ich am See erst Spaß gehabt und mich dann scheiße gefühlt, weil Christoph nicht dabei gewesen war. Es war irgendwie falsch ohne ihn. Und ich wollte nachher noch einen Brief schreiben, aber davon sagte ich nichts.
»Mann, Jan.«
»Das nächste Mal wieder«, murmelte ich, aber ich war nicht sicher, ob ich dann Lust haben würde.
»Komm schon. Heut kommen die Mädels sicher.«
»Ich kann nicht, verdammt. Muss meiner Mutter helfen«, log ich.
»Das hat dich früher auch nicht gestört.«
»Vielleicht komm ich nach. Ich ruf dich an«, sagte ich ausweichend. Zum Abschied klatschten wir uns ab.
Auf dem Heimweg kaufte ich im Copyshop einen dieser dämlichen personalisierten Autoaufkleber für Kleinkinder, ein grinsendes Baby im Spielzeugauto mit der Schrift: Tommi auf Tour oder Petra an Bord. Jungs hatten drei Haare, Mädchen eine Schleife. Man konnte jeden Namen anfertigen, aber da ein Tommi vorrätig war, nahm ich Tommi.
Was sollten die Aufkleber eigentlich? Als würde der Raser von rechts, der eine rote Ampel übersieht, den Aufkleber auf der Heckscheibe lesen können und deswegen spontan beschließen, doch erst das nächste Auto zu Schrott zu fahren. Als wäre es nicht so schlimm, ein Auto zu rammen, in dem nur Erwachsene oder Zehnjährige sitzen. Für den Verkehr taugte er nichts, er war einfach ein Ausdruck von übersteigertem Elternstolz.
Dazu holte ich noch einen fetten schwarzen Permanentmarker, ich wusste nicht, ob ich meinen gestern nicht fast aufgebraucht hatte.
Anschließend ging ich zu Hobby Hubert , wo ich zu Grundschulzeiten mein Eisenbahnzubehör gekauft hatte, und dann mit Christoph zusammen Modelle von Flugzeugen und Kriegsschiffen, bis wir zu alt dafür geworden waren.
Christoph und ich saßen am Ufer des Goldbachs und hatten alle Modelle zur letzten großen Schlacht versammelt. Es war kühl, und das Wasser plätscherte. Wir klemmten übrig gebliebene Silvesterkracher in Rümpfe und zwischen Bomben und Flügel oder setzten die kleineren auf den Platz des Co-Piloten. Den letzten Kanonenschlag versteckten wir im Bug eines Flugzeugträgers.
»Schade, dass wir keine Titanic haben«, sagte Christoph.
»Dann bräuchten wir auch einen Eisberg«, sagte ich.
Dann zündeten wir eine Lunte nach der anderen an, jagten die Modelle in die Luft und lachten uns über das deformierte Plastik kaputt.
Vögel stoben auf, auf der anderen Bachseite bellte ein Hund.
»Tot! Tot! Tot!«, schrien wir die kleinen zusammengeschmolzenen Piloten an.
»Krass! Dem ist der ganze Kopf runtergetropft.« Christoph lachte.
»Und der hat so einen fahren lassen, dass sein ganzer Arsch weggebrannt ist!«
Das letzte Flugzeug hielt Christoph in der Hand, bis die Lunte fast abgebrannt war; dann warf er es. Es explodierte in der Luft. Die Plastikteile spritzten in alle Richtungen. Als alle Modelle zerstört waren, sahen wir uns das Schlachtfeld an, ließen die Reste liegen, stürmten heim, kratzten unser Taschengeld
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