Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
zum Beispiel ständig kritisierte. An allem, was ich tat, gab es etwas auszusetzen, an meiner Haushaltsführung, meiner Art, mit dem Geld umzugehen, an den hohen Stromkosten, dem großen Verbrauch von Toilettenpapier, dem Betragen der Kinder und so fort. Nach und nach habe ich alle eigenen Bedürfnisse unterdrückt, um die Kinder zu versorgen und Konflikte mit meinem Ehemann zu vermeiden.
Mein Mann war jahrelang in der freien Wirtschaft tätig, hat sehr viel gearbeitet und dabei viel Geld verdient. Nebenbei hat er auch noch unser Haus renoviert und ausgebaut. Im Nachhinein hat er gesagt, dies sei seine Art gewesen, uns seine Liebe zu zeigen.
Nach außen hin ist er eine finanzstarke, umgängliche, beliebte und allgemein anerkannte Person. Mein Fehler besteht sicherlich darin, dass ich mich all die Jahre unterdrücken ließ, obwohl ich stets versucht habe, meine Meinung zu sagen.
Vor ein paar Jahren kam es so weit, dass ich mich nicht mehr allen Anforderungen gewachsen fühlte, die an mich gestellt wurden, angefangen von den politischen Forderungen an uns Lehrer bis zu den Forderungen meines Mannes bei uns zu Hause. Ich verfiel in tiefe Depression und Angst. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich nicht mehr mit meinem Mann zusammenleben konnte, doch hatte ich weder die Energie noch die Stärke, ihn zu verlassen.
Außerdem fühlte ich große Trauer, Verzweiflung und Scham und hatte ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber, weil es mir nicht gelungen war, ihnen eine behütete Kindheit und ein Familienleben zu geben, wie ich es mit meinen verheirateten Eltern erlebt hatte. Ein ganzes Jahr lang war ich krankgeschrieben.
Vor einem Jahr brachte ich dann endlich die nötige Kraft auf, meinen Mann zu verlassen und in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ich tat das nicht, weil ich einen anderen kennengelernt hätte, sondern weil ich einfach nicht mehr daran glauben konnte, dass unsere Beziehung sich jemals verbessert.
Ein Jahr zuvor hatten wir den Rat eines Familientherapeuten eingeholt. Das hatte zwar zu gewissen praktischen Änderungen geführt, was die Aufgabenverteilung zu Hause anging, doch wie sehr kann man sich schon tatsächlich gegenseitig verändern?
Als ich den entscheidenden Schritt machte, nahm mein Mann es sehr schwer und ließ sich krankschreiben. Das ganze letzte Jahr hindurch sind wir weiterhin regelmäßig zum Familientherapeuten gegangen. Jetzt brauche ich Ihren Rat, wie ich ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern aufrechterhalten kann.
Mein Exmann hat mich aus unserem Haus herausgekauft und eine neue hübsche Freundin, die er den Kindern frühzeitig vorgestellt hat und die jetzt mit ihm und den Kindern zusammenwohnt. Sie scheint eine nette, kluge und reflektierte Frau zu sein, die ihre Rolle als Bonusmutter auf eine sichere Weise gut ausfüllt. Da sie selbst ein Scheidungskind war, hat sie großes Verständnis für eine Lebenssituation, in der die Kinder zu gleichen Teilen bei ihrer Mutter und bei ihrem Vater leben, wie das bei unseren Kindern der Fall ist. Die Kinder haben sie sehr gern. Sie sehen ja, dass es dem Vater wieder gut geht. Ich habe mehr Schwierigkeiten damit, dass mein Exmann auf einmal den »Superdad« herauskehrt und sich sehr um eine enge und gute Beziehung zu seinen Kindern bemüht.
Nach all den Jahren unserer Ehe ist es ein merkwürdiges Gefühl, beiseitegeschoben zu werden, obwohl es natürlich schön ist, dass er endlich Zeit für seine Kinder hat und ein guter Vater ist. Ein seltsames Gefühl, sie »verloren« zu haben, während er von seinen Kindern vergöttert wird. Die Kinder haben ja nur selten erlebt, dass wir uns lautstark gestritten haben. Sie haben gar nicht verstanden, warum ich ausgezogen bin. Meine Trauer, Tränen und Verzweiflung haben sie nicht mitbekommen, weil ich sie in all den Jahren vor ihnen versteckt habe. Er hingegen hat offen vor den Kindern geweint und ihnen seine Trauer gezeigt, nachdem ich ausgezogen war.
Nach unserer Trennung hat er sich geweigert, den Kindern ein differenziertes Bild unserer Ehe zu vermitteln. Anderen gegenüber gab er zu, dass er mich schlecht behandelt hat und dass er viele seiner Entscheidungen im Nachhinein bereut. Doch zu den Kindern sagt er davon kein Wort. Es scheint ihm sehr recht zu sein, vor ihnen als Opfer unserer Ehe und als ihr Held dazustehen. Ich habe den Kindern meine Sicht unserer Ehe ganz bewusst verschwiegen, um sie zu schützen, doch finde ich es äußerst schwierig, damit zu leben, dass sie weiterhin glauben
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