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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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wichtig, ich brauch jetzt einfach Schlaf. Könnte ich meine Eltern anrufen, damit die mich abholen? Ich will jetzt nicht selbst fahren.“
    „Ja, natürlich. Ich bringe Ihnen das Telefon. Ihr Auto können Sie bis morgen hier stehen lassen. Eigentlich ein Wunder, dass Sie es in ihrem Zustand ohne Unfall hierher geschafft haben.“
    Der junge Polizist steht von seinem Schreibtisch auf und ich starre das halbe Glas Orangensaft an. Ich schaue dem Fruchtfleisch dabei zu, wie es nach unten sinkt, sich auf dem Boden absetzt. Oben wird die Flüssigkeit durchscheinend, unten fett orange. Paula Paula Paula, geh einfach mit ihnen mit, verlass dieses verdammte Haus … bitte bitte mach keinen Scheiß, lass dich einfach mitnehmen, wehr' dich nicht!
    Wie ich so dasitze und den Orangensaft anstarre, da kommt mir auf wieder der Gedanke, dass Paula überhaupt nicht mehr am Leben ist. Vielleicht liegt sie mit verdrehten Gelenken und geplatztem Kopf unten auf dem Parkplatz, vielleicht ist sie hinunter in den Keller gegangen, hat sich ein schönes, stabiles Heizungsrohr gesucht und … Oh Gott! Lass es nicht passiert sein! Lieber Gott, ich habe nie an dich geglaubt … aber wenn die tote Schwester von Frau Diehl noch da ist, wieso solltest du dann nicht da sein? Bitte lieber Gott, lass es nicht passiert sein! Lass Paula nicht tot sein!
    Obwohl er mich anwidert, trinke ich den restlichen Saft aus. Als ich das Glas absetze, da streckt mir auch schon der Polizist das Telefon hin. Mit Fingern, die mir plötzlich unheimlich blass und dünn vorkommen, wähle ich die Nummer meiner Eltern.
    „Ja, hier Pander.“
    „Hallo Papa, tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe. Kannst du mich von der Polizei abholen?“

Später
     
    Es ist inzwischen fast ein halbes Jahr her, dass ich das Herbsthaus verlassen habe. Mein Bruder hat zusammen mit zwei Freunden meine wenigen Sachen geholt und den Kram bei meinen Eltern in den Keller gestellt. Ich wohne wieder bei ihnen, in meinem alten Kinderzimmer. Im Regal stehen meine alten, völlig zerfledderten Pferde-Bücher und über dem Bett hängt ein eingerissenes Green Day-Poster. Keine Ahnung, warum ich mir das damals, ich war 14 oder 15, aufgehängt habe, ich habe nie viel Green Day gehört.
    An dem Tag nach Paulas Attacke sprach ich mit noch einem anderen Polizisten, zwei Tage später dann mit einer jungen, nicht uniformierten Polizistin. Ich erzählte allen Dasselbe: Paula bekam Halluzinationen, fing an, nachts irgendwelche Tiere und Menschen zu sehen, und dann wurde sie immer aggressiver. Ich versuchte, sie aus der Wohnung rauszuholen, ich versuchte es wieder und wieder und schließlich eskalierte alles und es kam zu der Auseinandersetzung, nach der ich mit blutüberströmtem Gesicht und verklebten Haaren zur Polizei fuhr. Bei keinem der Gespräche vergaß ich zu erwähnen, dass Paula von Suizid gesprochen hatte. Ich hatte mir eine Geschichte zurechtgelegt und bei dieser Geschichte blieb ich. Ich musste sichergehen, dass Paula Hilfe bekam und dass man sie, das war überhaupt das Wichtigste, aus dem Haus holte.
    Die beiden Polizisten, die am Tag der Attacke zum Haus fuhren, fanden Paula unten im Erdgeschoss … gesund und unverletzt, allerdings apathisch. Sie antwortete nicht auf Fragen, zeigte auf Verlangen aber ihren Ausweis und ging widerstandslos mit den Beamten mit. Als ich am Tag des Angriffs die Polizeiwache verließ, da muss Paula schon auf der Wache gewesen sein, gesehen habe ich sie nicht.
    Natürlich fragte man mich, ob ich Anzeige erstatten wolle, doch ich lehnte ab. Folglich kam es zu keiner Verhandlung, allerdings wurde Paula zu ihrer eigenen Sicherheit in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, in der sie meines Wissens insgesamt vier Wochen verbrachte. Ich wollte sie besuchen, aber als ich in der Klinik anrief, da wurde ich zu ihrem behandelnden Therapeuten durchgestellt und der riet mir ab: „Tut mir leid, Frau Pander. Ich würde Sie bitten, zum jetzigen Zeitpunkt von Besuchen und auch von Telefonaten abzusehen … Nein, ich kann Ihnen nichts Genaueres sagen. Sie müssen verstehen, wir sind an die Schweigepflicht gebunden. Nur so viel: Ihrer Bekannten geht es den Umständen entsprechend gut, Sie müssen sich keine Sorgen machen.“
    Zwei Wochen nach Paulas Entlassung aus der Klinik – sie ist wieder zu ihren Eltern gezogen, genau wie ich – saß ich mit ihr in einem kleinen Café in der Innenstadt. Es waren furchtbare neunzig Minuten, wir fanden keine Verbindung zueinander. Ich hatte

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