Blutköder
1
Mit Ausnahme eines neun Wochen alten australischen Schäferhundwelpen, der schnupperte und jaulte, als habe er eine Schatztruhe entdeckt und suche nun einen Weg hinein, waren alle so höflich, über Annas Geruchsnote hinwegzusehen.
Unter der Aufsicht von Joan Rand, der leitenden Biologin des bahnbrechenden Bären- DNA -Projekts im Glacier-Nationalpark, hatte Anna den Vormittag mit einer Tätigkeit verbracht, die derart ekelhaft war, dass selbst Müllmänner einen großen Bogen um sie gemacht und sich ehrfürchtig die Nase zugehalten hätten.
Unweit der Kläranlage des Parks, hinter einem zwei Meter hohen, mit Elektrodrähten versehenen Maschendrahtzaun und außerdem geschützt von einem mit sechs weiteren Elektrodrähten ausgestatteten Aluminiumschuppen von der Größe eines altmodischen Doppelplumpsklos, wurden die Köstlichkeiten gelagert, die der aufgeregte schwarz-weiße Welpe nun witterte: zwei Zweihundert-Liter-Fässer, gefüllt mit einer Mischung aus Kuhblut und Fischabfällen, die erhitzt und dann zweieinhalb Monate lang zum Gären in den sogenannten »Brauschuppen« gestellt worden waren.
Joan, offenbar von Geburt an frei von Würgereiz, hatte Anna fröhlich gezeigt, wie man mit einer Hand die Fischstückchen heraussiebte, während man mit der anderen die dunkelrote Flüssigkeit in Ein-Liter-Plastikflaschen schöpfte.
»Mit den Fingern klappt es am besten«, hatte Rand erklärt. »Forschung pur, glamouröser kann es überhaupt nicht mehr werden.« Bei diesen Worten bedachte sie Anna mit einem Grinsen, das kleine, schiefe, sehr weiße Zähne sehen ließ und unter gewöhnlichen Umständen ansteckend gewesen wäre.
Als Anna nun im Büro des Labors stand und der Welpe anfing, an ihren Schnürsenkeln zu lecken, war sie froh, dass sie der Versuchung, das Lächeln zu erwidern, nicht erlegen war. In diesem Fall hätte sich der üble Gestank, den sie nur als Eau de Cadavre, den typischen Geruch des Todes oder Teufelskotze beschreiben konnte, vermutlich auch über ihre Zähne gelegt.
»Mit der Zeit lässt es nach.« Eine freundliche Frau mit schulterlangem braunen Haar blickte von ihrem Computer auf, als würde Anna ihre Gedanken ebenso freigiebig verbreiten wie den Gestank. »Es dauert eben ein wenig. Hast du schon mit Stinktierködern gearbeitet?«
»Das wird der Nachtisch«, entgegnete Anna mit finsterer Miene, worauf die Frau lachte.
»Das ist der beste Köder. Joan sagt, sie wälzen sich darin und spielen wie zu groß geratene Hunde. Das Zeug stinkt so erbärmlich, dass man es in Schraubdeckelgläser abfüllen muss, weil der Geruch Plastik durchdringt.«
Anna dachte an die Köder aus Blut und Stinktiersekret. Beide waren gründlich erforscht worden, und man hatte die verschiedensten Duftnoten erprobt und wieder verworfen, bis man die gefunden hatte, die für Grizzlybären am unwiderstehlichsten waren. Bald würde Anna, Behälter mit diesen Gerüchen auf dem Rücken, ins Herz des Bärenlandes marschieren, in den zu Montana gehörenden Teil des Waterton-Glacier International Peace Parks, und zwar nur bewaffnet mit einer Dose Pfefferspray, zur Abwehr der größten Allesfresser in diesen Breitengraden.
Der Welpe bellte und stützte tapsige große Pfoten auf Annas Oberschenkel. Sein schwarz abgesetzter Schwanz beschrieb kurze, kräftige Bögen. »Du würdest dich wohl am liebsten in mir wälzen, was?«, meinte Anna. Als er wieder bellte, musste sie das Bedürfnis unterdrücken, ihn hochzuheben, um sein weiches Babyfell nicht mit ihren schmutzigen Händen zu verunreinigen. Deshalb wandte sie sich von seinen flehenden braunen Augen ab, um die Farbkopien zu betrachten, die den Ursus horribilis darstellten und mit Heftzwecken an der Pinnwand über dem Konferenztisch befestigt waren. Der dicke Muskel zwischen den Schulterblättern diente nach allgemeiner Auffassung dem Zweck, die wichtigste Funktion der zwölf Zentimeter langen Krallen zu unterstützen – das Graben. Das Fell war grau und mit silbrigen Fäden durchzogen. Die runden, plumpen Ohren erinnerten an die eines Teddybären. Das Gebiss wirkte weniger friedlich, denn die Eckzähne waren etwa drei Zentimeter lang und ausgezeichnet an die Ernährungsgewohnheiten des Bären angepasst. Grizzlys fraßen Aas, Pflanzen, Eichhörnchen, Insekten – und manchmal auch Menschen.
Anna dachte über den letzten Punkt nach und hielt sich vor Augen, dass sie Lockstoffe bei sich tragen, damit hantieren und nachts daneben schlafen würde.
Sie trat näher heran und
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