Virus (German Edition)
die Tatsache, dass die Mächtigen sich seinetwegen hier versammelt
hatten, gab ihm ebenfalls Macht. Er absorbierte sie, fühlte sie durch seinen
Körper strömen und genoss sie für einen Moment. Er wollte sichergehen, dass er
dieses Gefühl niemals vergessen würde.
Im Saal erkannte er neben der
versammelten Macht der Gruppe der Acht auch Vertreter aus einigen asiatischen
Ländern, denn das Zusammenleben von Hühnern, Schweinen und Menschen in vielen
asiatischen Kulturen war ein nicht zu verachtender Faktor für die Mutation und
Verbreitung gefährlicher Viren. Zudem blickte er auf die Crème de la Crème
seiner Kollegen herab, ihre neidvollen Gesichter, voller Eifersucht, Missgunst
und vielleicht sogar Hass. Ihr Neid verstärkte sein Gefühl von Macht noch.
Trotz ihres Hasses waren sie gezwungen, zu ihm aufzublicken.
Zu guter Letzt sah Meng Hong
einige Journalisten, nicht viele allerdings. Ausschließlich handverlesene Wissenschaftsjournalisten
hatten eine Akkreditierung für diese Veranstaltung erhalten. Die gemeine Presse
war im gesamten eingezäunten Bereich ebenso wenig zugelassen wie Fernsehsender.
Doch während diese durch das Kamerateam der Regierung mit Material versorgt
wurden, war die schreibende Zunft ausschließlich auf Pressemitteilungen
angewiesen.
Meng Hong atmete tief durch. So
schlecht sein eigenes Englisch auch war, so gut vermochte er doch, mit einem
einstudierten Vortrag seine Zuhörer zu fesseln. Es war Routine für ihn. Er trat
ans Mikrophon in der Mitte der Bühne. Nur etwa anderthalb Meter über ihm hing
eine zur Lichtinstallation gehörige Metallkugel von der Größe eines Basketballs.
Der Spot war auf ihn gerichtet.
Er räusperte sich, doch in eben
jenem Augenblick erschütterte ein gewaltiger Donnerschlag das Gebäude. Ein
Murren ging durch das Publikum. Meng Hong war zu routiniert, um sich diese
Gelegenheit für einen kleinen Scherz entgehen zu lassen. Es ging nichts über
ein lockeres Publikum.
Er klopfte sich auf die Brust,
räusperte sich erneut und sagte in gebrochenem Englisch: „Klingt wie Erkältung
kommen.”
Das Publikum lachte laut auf. Er
hatte die Menschen im Griff.
Doch mitten in dieses kurze
Gelächter hinein ertönte plötzlich ein langgezogener, lauter Ton – ein Ton, wie
ihn keiner der Anwesenden je gehört hatte. Er war schrecklich und wunderschön
zugleich, am ehesten vielleicht noch mit dem einer Posaune vergleichbar, aber
doch anders. Ein unbeschreiblich schöner Klang, doch durch seine Fremdartigkeit
und Deplatziertheit auch ebenso schrecklich wie Angst einflößend. Es war
unmöglich, dass auch nur einer der Anwesenden keine Gänsehaut hatte.
Meng Hong verstand nicht. Dies
war sein großer Auftritt, sein Moment. Was passierte hier? Gerade noch hatte
das Publikum über seinen Witz gelacht und jetzt dieser Ton. Eine Sirene? Ein
übler Scherz eines neidischen Konkurrenten? Fassungslos blickte er zu Debbie
hinunter, die am Rand der Bühne stand. Doch Debbie zuckte nur die Schultern.
Auch sie wusste den Ton nicht einzuordnen.
–––––
Andreas Hanke blickte sich alarmiert
und mit geübtem Auge um. Der Personenschützer war geschult worden, nicht bei
der kleinsten Unplanmäßigkeit in Panik zu verfallen, aber dieser Ton war
angsteinflößend. Was passierte hier? Ein Alarm? Eigentlich auszuschließen. Man
hätte ihn über Funk sofort informiert, zudem war man alle Alarmsignale vorher
durchgegangen. Aber dieser Ton war ihm fremd. War die Funkverbindung
ausgefallen?
„Was ist das?” flüsterte er kurz
und knapp in sein Revers.
„Keine Ahnung. Wachsam bleiben!”
war die prompte Antwort in seinem Ohr. Der Funk funktionierte also. Hier vorne
war Hanke ganz alleine für die Sicherheit der Kanzlerin zuständig. Kein anderer
Personenschützer oder Geheimdienstler war ihr so nah. Er musste sich ein Bild
machen und im Zweifelsfall in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung treffen. Er
blickte zur Kanzlerin, die von dem Ton ebenso ergriffen war, wie jeder andere
im Raum.
–––––
Jo Somniak war einer der wenigen Wissenschaftsjournalisten,
die eine Akkreditierung für den Gipfel erhalten hatten. Er saß in einer der
hinteren Reihen. Obwohl er von seinem Platz aus nicht den besten Blick auf die
Bühne hatte, wusste er, dass hier etwas Unglaubliches passierte.
Er legte seinen Laptop auf den
Boden, richtete seine Nikon auf die Bühne und drückte auf den Auslöser.
–––––
Professor Tu Meng Hong blickte in
die in Verzückung und Schrecken
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