Verräterherz (German Edition)
Hanna Julian
Verräterherz
Roman
Cover und Text ©Hanna Julian 2012
http://hannajulian.jimdo.com/
Prolog
Ich machte die Zeit zu meiner Verbündeten,
obgleich sie doch mein ärgster Feind ist.
Von den Zeigern der Uhr lasse ich mich geißeln,
damit sie mir Einhalt gebieten, wider die Völlerei.
So entsage ich dem überaus verlockenden Blutrausch,
zügele mich in meiner Gier und tue mir selbst Gewalt an,
um deinesgleichen zu schützen, so gut es mir eben
möglich ist.
Gewähre mir deine Zeit - Nur ein wenig davon,
und ich werde dir berichten, warum ich einen Teil
deiner kostbaren Lebensspanne für mich beanspruche.
Wir werden uns nicht als Freunde trennen, aber vielleicht doch zumindest als Wesen, die einander respektieren.
~1~
Lass uns beginnen, denn die Zeit drängt...
Ich bin eine verlorene Seele. Das war ich schon immer und es hat sich in den letzten rund zweihundertfünfzig Jahren nicht geändert.
Mein Name ist Lucien Chevrier. Geboren wurde ich in Paris im Jahre 1739. Inzwischen habe ich beinahe die ganze Welt bereist und es doch nicht geschafft, vor mir selbst davon zu laufen. Mein Vorname bedeute soviel wie „der Glänzende“ – und das ist auch schon das einzig Helle an mir.
Meine Augen sind so dunkel wie die meiner Vorfahren; mit dem einzigen Unterschied, dass meine kurzzeitig rot werden, wenn ich mich nähre. Ich entstamme keinem altehrwürdigen Vampirgeschlecht; meine Eltern waren Menschen, so wie meine Großeltern und die Generationen davor.
Vermutlich brach es ihnen das Herz, als ich im Alter von einundzwanzig Jahren starb. Die Gewalteinwirkungen waren nicht zu übersehen gewesen und werden vor allem meiner Mutter schwer zugesetzt haben, die von jeher eine sehr zarte und friedliebende Frau war. Ein Streit zwischen ihr und meinem Vater klang für andere Menschen stets wie eine angeregte Unterhaltung. Mehr ließen beide nicht zu, in dem Wissen, dass es Wunden schlagen würde, die man einem Menschen, den man liebt, nicht zufügen sollte.
Wir lebten nicht in wohlhabenden Verhältnissen, doch kann ich mich nicht entsinnen, je gehungert zu haben. Vielleicht ist es jedoch auch nur so lange her, dass ich feste Nahrung zu mir nahm, dass mir die Erinnerung an die Entbehrung derselbigen nicht mehr vorstellbar ist. Ich halte das für möglich, denn trotz meiner Fähigkeiten, die von Menschen gerne als übernatürlich bezeichnet werden, bin ich erstaunlicherweise nicht in der Lage, mich an Einzelheiten meines sterblichen Lebens zu erinnern. Zumindest nicht an die Dinge, an die ich mich gerne erinnern würde. Aber was sind auch schon einundzwanzig Jahre gegenüber gut zweieinhalb Jahrhunderten?
Ich bin dankbar, dass ich meine Mutter nicht sah, als sie meinen Leichnam entdeckte. Ich war in der glücklichen Lage, gerade in dieser Zeit meine Wandlung zu durchlaufen, die meinen Körper von dem meiner sterblichen Überreste trennte, und die dafür sorgte, dass ich in einer Zwischenwelt die Metamorphose für mein neues Leben durchlief. Diese Zwischenwelt ist nicht unbedingt ein schöner Ort, wie ich wohl klarstellen muss, aber dennoch ein Ort, an dem man lieber verweilt, als zu sehen, wie die eigene Mutter leidet.
Es muss ein schlimmer Anblick pour ma chère maman gewesen sein, als sie meine zerfetzte Kehle sah. Ich kann mich dunkel erinnern, dass der Vampir, der mir das angetan hatte, mir im Kampf auch den Arm brach.
Lange Zeit nach meiner Verwandlung suchte ich meinen Mörder, und schließlich, vor ein paar Wochen nun, fand ich ihn endlich. Es war mehr ein Zufall, wie ich gestehen muss, aber dennoch war meine Genugtuung nicht minder groß, als sie es gewesen wäre, wenn ich ihn kurz nach meiner Wandlung zum Untoten gefunden hätte.
Ich weiß, dass die Zeit der Sterblichen begrenzt ist – geradezu lächerlich eng bemessen, im Gegensatz zu meiner eigenen. Dennoch schreibe ich meine Geschichte für diejenigen auf, die nicht dem Vampirgeschlecht angehören. Natürlich könnte ich so tun, als würde ich dadurch lediglich jene warnen wollen, denen es nicht so ergehen soll, wie mir einst. Doch das ist nicht der Grund. Und ebenfalls geschieht es nicht, weil ich etwa glaube, etwas beichten zu müssen. Als Vampir habe ich es nicht nötig, bei sterblichen Menschen um Vergebung zu bitten - sterbliche Menschen, die mein Leben stets nur streifen und mir mehr zu Nahrungszwecken dienen, denn als Beichtvater, oder gar als Mentor. Ein geradezu lächerlicher Gedanke übrigens, euch als meinen Mentor
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