Virus
die richtige Position, stellte die Schärfe ein und trat dann zurück, so daß Marissa einen Blick durch das Mikroskop werfen konnte.
»Siehst du diese dunklen Klumpen im Zytoplasma?« fragte Tad sie.
Marissa nickte. Selbst durch die Plastik-Gesichtsmaskewaren die Inklusionskörper, auf die Tad hingewiesen hatte, deutlich erkennbar, und das gleiche galt für die unregelmäßigen Zellkerne.
»Das ist das erste Anzeichen des Befalls«, sagte Tad. »Ich habe diese Kulturen gerade erst angelegt. Der Virus ist unglaublich aktiv.«
Nachdem Marissa vom Mikroskop zurückgetreten war, tat Tad das Röhrchen wieder in den Brutschrank. Dann begann er damit, ihr seine komplizierte Untersuchungsarbeit zu erläutern, sie auf die hochentwickelten Apparate hinzuweisen, die er dafür heranziehe, und im Detail seine vielfältigen Experimente zu erklären. Marissa hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren. Sie war eigentlich nicht in dieser Nacht ins Laboratorium gekommen, um über Tads Arbeit zu diskutieren, aber das konnte sie ihm schlecht sagen.
Schließlich führte er sie in einen schmalen Gang, wo Tierkäfige fast bis zur Decke aufgestapelt waren. Da gab es Affen, Meerschweinchen, Ratten und Mäuse. Marissa sah Hunderte von Augen auf sich gerichtet: manche teilnahmslos, manche voll fiebrigen Hasses. Aus einer abgelegenen Ecke holte Tad einen Käfig mit Schweizer Eismäusen, wie er sie nannte. Er wollte sie gerade Marissa zeigen, als er stockte. »Also das ist doch nicht zu glauben!« sagte er. »Heute nachmittag erst habe ich sie mit dem Virus geimpft, und jetzt sind schon die meisten davon tot.« Er blickte ernst auf Marissa: »Dein Ebola-Virus ist weiß Gott tödlich – so schlimm wie der 76er Zaire-Stamm.«
Marissa blickte auf die toten Mäuse. »Gibt es eine Möglichkeit, die verschiedenen Stämme miteinander zu vergleichen?«
»Aber sicher«, sagte Tad und nahm die toten Mäuse heraus. Sie kehrten ins Hauptlaboratorium zurück, und Tad suchte dort nach einem Behältnis für die kleinen Kadaver. Während er umherlief, sprach er weiter, aber Marissa hatte große Mühe, ihn zu verstehen, wenn er nicht unmittelbarvor ihr stand. Der Plastikanzug verlieh seiner Stimme einen hohlen Klang so wie der von Dark Vader im Krieg der Sterne. »Nachdem ich jetzt damit begonnen habe, die Charakteristika deines Ebola-Virus herauszuarbeiten, wird es leicht sein, ihn mit bisher aufgetretenen Stämmen zu vergleichen. Tatsächlich habe ich gerade mit diesen Mäusen damit begonnen, aber in bezug auf Resultate muß man die statistische Auswertung abwarten.«
Nachdem Tad die Mäusekadaver auf eine Sezierschale gelegt hatte, blieb er vor der verriegelten Isoliertür stehen. »Ich glaube kaum, daß du hier hereinkommen möchtest.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, öffnete er die Tür und ging mit den toten Mäusen hinein. Eine Dunstschwade zog heraus, als die Tür beim Zurückschwingen an seinem Luftschlauch hängenblieb.
Marissa starrte auf den schmalen Spalt und machte sich stark, Tad zu folgen, aber bevor sie sich dazu aufraffen konnte, erschien er schon wieder und schloß hastig die Tür hinter sich. »Weißt du, ich möchte auch die Struktur der Polypeptide und viralen Ribonukleinsäuren deines Virus mit denen der früher aufgetretenen Stämme vergleichen«, erklärte er ihr.
»Jetzt ist’s aber genug!« lachte Marissa. »Ich fühl’ mich ja schon ganz dämlich wegen dir. Da muß ich mir erst mal wieder mein Virologie-Kompendium vornehmen, bis ich mir auf all das einen Reim machen kann. Wollen wir nicht Schluß mit dieser Spätschicht machen und endlich den Drink nehmen, zu dem du mich eingeladen hast?«
»Also los«, sagte Tad bereitwillig.
Auf ihrem Rückweg gab es noch eine Überraschung für Marissa. Als sie durch den Raum mit dem Kalkbelag auf den Wänden kamen, prasselte plötzlich eine Dusche von Phenol-Desinfektionsmittel auf sie herunter. Tad grinste in Marissas erschrockenes Gesicht und sagte: »Na, jetzt weißt du endlich, wie sich eine Kloschüssel fühlt!«
Als sie wieder in ihre normale Kleidung schlüpften,fragte Marissa, was denn in dem Raum sei, in den Tad die toten Mäuse gebracht hatte.
»Nur ein großer Gefrierschrank«, sagte er und wich einer genaueren Antwort aus.
*
Während der nächsten vier Tage gewöhnte sich Marissa wieder an ihr Alltagsleben in Atlanta und genoß ihr Heim und ihren Hund. Am Tag nach ihrer Rückkehr hatte sie sich erst einmal energisch an die unangenehmen Aufgaben gemacht, zu
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