Virus
wohlhabend« umfaßte. In einer davon, im Gebiet Druid Hills, hatte Marissa ein Haus mieten können. Es gehörte einem Ehepaar, das nach Mali in Afrika versetzt worden war, um dort im Rahmen eines umfassenden Projekts der Geburtenkontrolle zu arbeiten.
Marissa bog auf den Peachtree Place, den Pfirsichbaumplatz, ein. Ihr kam es so vor, als sei alles hier in Atlanta nach dem Pfirsichbaum benannt. Sie fuhr auf der linken Seite an ihrem Haus vorbei. Es war ein zweistöckiges Holzhaus, gut gepflegt mit Ausnahme des Gartens drum herum. Der Baustil war ziemlich unbestimmbar, wenn man einmal von den beiden ionischen Säulen am Hauseingang absah. An allen Fenstern waren imitierte Fensterläden mit einem herzförmigen Ausschnitt in der Mitte. Marissa hatte es bei ihrer Schilderung ihren Eltern gegenüber als »niedlich« bezeichnet.
An der nächsten Ecke bog sie links ein und dann nochmals links. Das Grundstück, auf dem das Haus stand, erstreckte sich über die ganze Breite des Bebauungsstreifens, und wenn Marissa in die Garage fahren wollte, mußtesie außen herum das Haus von hinten anfahren. Zum Vordereingang führte zwar eine Ringstraße, aber sie hatte keinen direkten Anschluß zur hinteren Einfahrt und zur Garage. Offensichtlich hatte es früher einmal eine Verbindung zwischen den beiden Straßen gegeben, aber dann hatte jemand einen Tennisplatz angelegt, dem diese Verbindung zum Opfer gefallen war. Inzwischen war der Tennisplatz so vom Unkraut überwuchert, daß man ihn kaum noch als solchen erkennen konnte.
Da sie ja nochmals wegfahren wollte, stellte Marissa den Wagen nicht in die Garage, sondern wendete und stieß rückwärts in die Einfahrt. Als sie die Stufen hinaufeilte, hörte sie schon das Begrüßungsgekläffe ihres Cockerspaniels, den ihr eine Kollegin aus ihrer Kinderarztzeit geschenkt hatte.
Marissa hatte nie vorgehabt, sich einen Hund zu halten. Aber vor sechs Monaten hatte eine lange Liebesromanze, von der sie ganz sicher war, daß sie zur Hochzeit führen würde, ein plötzliches Ende gefunden. Der junge Mann, Roger Shulman, Assistenzarzt an der neurochirurgischen Abteilung des Staatskrankenhauses von Massachusetts, hatte Marissa mit der Nachricht überrascht, daß ihm ein Forschungsstipendium an der kalifornischen Staatsuniversität in Los Angeles angeboten worden sei und er allein dorthin gehen wolle. Bis zu diesem Zeitpunkt war es für beide klar gewesen, daß Marissa überallhin mitgehen würde, wohin Roger gehen würde, um seine Ausbildung abzuschließen. Marissa hatte sich auch tatsächlich um Kinderarztstellen in San Francisco und Houston beworben – die Staatsuniversität in Los Angeles war von Roger niemals auch nur erwähnt worden.
Als Jüngste in der Familie, mit drei älteren Brüdern und einem kühlen und dominierenden Neurochirurgen als Vater, hatte Marissa noch nie über ausgeprägtes Selbstvertrauen verfügt. Sie verkraftete den Bruch mit Roger schlecht und war eine Zeitlang kaum fähig, sich morgens zum Aufstehenzu überwinden und in die Klinik zu gehen. Während dieser depressiven Phase hatte ihre Kollegin Nancy ihr den Hund geschenkt. Zunächst hatte sie Marissa damit eher in Verlegenheit gebracht, aber bald hatte Taffy – sein fast schon übertrieben herziger Name stand auf einer riesigen Schleife, die das Hundebaby um den Hals trug – Marissas Herz gewonnen und ihr, wie es Nancy gehofft hatte, dazu verholfen, sich noch für etwas anderes zu interessieren als ihren Kummer. Inzwischen hatte sie ihre helle Freude an dem Hund und war glücklich darüber, durch ihn Leben im Haus zu haben und ein Wesen, dem sie ihre Liebe zuwenden konnte und das sie erwiderte. Bei ihrem Wechsel ans Seuchenkontrollzentrum war ihre Hauptsorge gewesen, was mit Taffy geschehen solle, wenn sie einmal zu auswärtigen Einsätzen geschickt werden würde. Dieses Problem machte ihr sehr zu schaffen – bis ihre Nachbarn zur Rechten, die Judsons, sich regelrecht in den Hund verliebten und anboten, ja förmlich verlangten, ihn immer dann zu sich zu nehmen, wenn Marissa wegfahren müsse. Es war ein Geschenk des Himmels.
Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, mußte Marissa erst einmal Taffys wilde Sprünge abwehren, ehe sie die Alarmanlage ausschalten konnte. Als ihr die Hauseigentümer das System erläutert hatten, hatte sie zunächst nur mit halbem Ohr zugehört. Doch inzwischen war sie sehr froh darüber. Obwohl die Außenbezirke eher sicherer waren als die Innenstadt, fühlte sie sich doch nachts sehr viel
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