Virus
Cyrill Dubchek, den Leiter ihrer Unterabteilung in der Abteilung für Virusforschung.
»Hallo, Dr. Blumenthal«, sagte Dubchek ganz gelassen und ließ keinerlei Erstaunen über Marissas Anwesenheit spüren.
Marissa dagegen war sichtlich durcheinander. Vom Seuchenkontrollzentrum hatte sie wirklich mit niemandem gerechnet. Dubchek überließ seinen Mantel dem Mädchen; er trug einen dunkelblauen Anzug von italienischem Zuschnitt. Er war ein gutaussehender Mann mit kohlschwarzen, klugen Augen und einem olivfarbenen Teint. Seine Züge waren aristokratisch und scharf geschnitten. Dubchek fuhr sich mit der Hand durch sein streng zurückgekämmtes Haar und lächelte: »Na, wir werden uns ja gleich noch unterhalten.«
Marissa erwiderte schwach sein Lächeln und wies mit einem Kopfnicken hinüber zum Wohnzimmer: »Die Bar ist dort drüben.«
»Wo ist Ralph?« fragte Dubchek und warf einen Blick in das bevölkerte Wohnzimmer.
»Wahrscheinlich in der Küche«, antwortete Marissa.
Dubchek nickte und wandte sich ab, als es erneut an der Tür klingelte. Diesmal war Marissa noch mehr verblüfft – vor ihr stand Tad Schockley!
»Marissa!« rief er aus und war offenkundig echt überrascht.
Marissa fing sich und bat Tad hereinzukommen. »Woher kennst du denn Dr. Hempston?«
»Auch nur von gelegentlichen Besprechungen und so. Ich war sehr überrascht, seine Einladung in meiner Post zu finden.« Tad grinste. »Aber wer bin ich denn, bei meinem Gehalt ein kostenloses Abendessen auszuschlagen?«
»Wußtest du, daß Dubchek kommen würde?« fragte Marissa, und ihr Ton war nahezu anklagend.
Tad schüttelte den Kopf. »Nein, aber was soll’s.«
Er warf einen Blick ins Eßzimmer und dann die Haupttreppe hinauf. »Mann, das ist ja ein tolles Haus!«
Marissa mußte unwillkürlich grinsen. Tad wirkte mit seinem kurzer, sandfarbenen Haar und seiner frischen Gesichtsfarbe einfach zu jung, um ihm schon den Doktorgrad zuzutrauen. Er trug eine Cordsamtjacke, eine Webkrawatte und derart abgetragene Flanellhosen, daß es genausogut Jeans hätten sein können.
»Hey«, sagte er, »woher kennst denn eigentlich du Dr. Hempston?«
»Ach, das ist nur ein Bekannter«, erklärte Marissa ausweichend und bedeutete ihm durch eine Geste, ins Wohnzimmer zu gehen und dort einen Drink zu nehmen.
Nachdem nun offenbar alle Gäste da waren, hielt es Marissa nicht mehr länger für nötig, in der Nähe des Eingangs zu bleiben. Sie ließ sich an der Bar ein Glas Weißwein geben und mischte sich unter die Gäste. Kurz bevor alle ins Eßzimmer gebeten wurden, fand sie sich im Gespräch mit Dr. Sandberg sowie Dr. Jackson und dessen Frau.
»Willkommen in Atlanta, junge Dame!« sagte Dr. Sandberg.
»Herzlichen Dank!« antwortete Marissa und war krampfhaft bemüht, nicht auf den Ring von Mrs. Jackson zu starren.
Dr. Jackson fragte: »Wie ergab es sich, daß Sie hierherans Seuchenkontrollzentrum kamen?« Seine Stimme war tief und klangvoll. Er sah nicht nur aus wie Charlton Heston, sondern sprach auch noch so, um »Ben Hur« spielen zu können.
Sie sah ihm in die tiefblauen Augen und fragte sich, was sie darauf antworten solle. Natürlich würde sie nichts vom Weggang ihres langjährigen Freundes nach Los Angeles erwähnen und ihrem zwingenden Wunsch nach Veränderung. Das entsprach nicht dem, was am Seuchenkontrollzentrum an Engagement erwartet wurde. »Ich hatte stets ein ausgeprägtes Interesse an öffentlicher Gesundheitsfürsorge.« Das war eine unschuldige Lüge. »Ich war schon immer beeindruckt von Geschichten über medizinische Forschungen und Entdeckungen.« Sie lächelte – dies jedenfalls war die Wahrheit. »Und dann hatte ich wohl genug davon, in triefende Nasen und laufende Ohren zu blicken.«
»Ausbildung in Kinderheilkunde«, sagte Dr. Sandberg, und es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Am Kinderkrankenhaus in Boston«, erwiderte Marissa. Sie fühlte sich stets unbehaglich und befangen bei Gesprächen mit Psychiatern. Sie mußte sich dabei immer fragen, ob sie wirklich ihre Motive besser analysieren könnten als sie selbst. Ihr war klar, daß sie zu einem Teil auch deswegen Medizin studiert hatte, um mit ihren Brüdern im Hinblick auf den Vater gleichziehen zu können.
»Wie denken Sie über klinische Medizin?« fragte Dr. Jackson.
»Haben Sie je daran gedacht, zu praktizieren?«
»Aber natürlich«, antwortete Marissa.
»Und wie?« fuhr Dr. Jackson fort und war sich nicht bewußt, daß sich Marissa dabei immer weniger wohl
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