Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
Vom Netzwerk:
freien
Arm und drückte die Tür zu Y4 auf.

Kapitel 4
    Â 
    Tagsüber
war es auf Y4 immer laut.
    Ich schob mich unauffällig
durch den halbrunden Raum, vorbei an den Intensivpflegebetten, in denen
meistens die Tageslichtagenten landeten, zu dem Gang, in dem die Wergehege
lagen, von denen das ganze Geschrei herüberdrang. Ich wollte nur einen kurzen
Blick auf unseren neuen Patienten werfen und die Werte auf den Monitoren
überprüfen, mehr nicht.
    Der Fremde lag in Zimmer eins,
doch die Gerätschaften waren leichter zu entdecken als der Patient: Von der
Decke hing der Monitor, der die Vitalzeichen anzeigte, neben dem Bett befand sich
das Beatmungsgerät, und überall standen Infusionspumpen und -ständer herum, die
ihn mit Medikamenten versorgten. Sie hatten sogar das Gerät eingesetzt, das mit
Hochdruck Blut pumpte, sodass die leeren Konserven aussahen wie zertrampelte
Weintrauben, während die Maschine das Blut schnellstens durch die intravenösen
Zugänge zurück in den Körper schickte.
    Jede Menge Leute tanzten um den
Fremden herum, der blau verhüllt war, da die Ärzte versuchten, ihn unter
möglichst sterilen Bedingungen zusammenzuflicken. Als einer der Ärzte zur Seite
trat, erhaschte ich einen Blick auf ein Handgelenk des Patienten, das mit einem
Lederriemen am Bettgestell fixiert war. Dann entfernte sich eine Schwester vom
Kopfteil des Bettes, sodass ich sehen konnte, dass er inzwischen eine stabile
Halskrause trug, die seinen Nacken schützen sollte. Aus seinem Mund ragte ein
Endotrachealtubus mit Titaniumspitze – Kunststoff konnten wir hier nicht
verwenden, da unsere Patienten das einfach zerbissen hätten. Der Luftschlauch
des Tubus führte zum Beatmungsgerät.
    Die Infusionsbeutel waren alle
mit leuchtend roten Warnschildern versehen, was auf eine ziemlich heftige
Medikation hinwies. Durch eine Kombination aus Transfusionen und Medikamenten
bekam er wieder einen Blutdruck, was allerdings bedeutete, dass die Werte, die
der Monitor anzeigte, nicht vom Patienten selbst erzeugt wurden. Man konnte die
Medikamente aber nicht ewig einsetzen, genauso wenig wie man Blut in ein Fass
ohne Boden pumpen sollte.
    Dicht neben dem Bett stand eine
Krankenschwester mit einem Betäubungsgewehr, das sie direkt auf den Patienten
gerichtet hielt. Sollte er anfangen, sich zu verwandeln, würde sie ihm sofort
einen Betäubungspfeil verpassen.
    Die Stationsschwester der
Tagesschicht verließ das Zimmer und entdeckte mich sofort. »Wollen Sie uns
helfen oder einfach nur dumm rumstehen?«
    Entschieden schüttelte ich den
Kopf. »Ich wollte nur …«
    Sie musterte mich prüfend.
»Charles hat ihn reingebracht – Sie waren doch auch dabei, oder?« Ich nickte.
»Was ist passiert?«
    Â»Unfall mit Fahrerflucht.«
Hätte der Polizist es nicht so genannt, wäre ich nie darauf gekommen –
zumindest nicht sofort. »Er muss ein Anonymus bleiben, irgendjemand hat ihm das
angetan.« Als Anonymus behandelten wir Patienten, die durch Gewalteinwirkung
Dritter verletzt worden waren – Leute, die versteckt werden mussten, falls die
Gewalt ihnen bis zum Krankenhaus gefolgt war.
    Drinnen ertönte ein gedämpftes
Brüllen, und sofort wichen alle Ärzte und Schwestern hastig zurück. Der Patient
schlug in seinem Bett wild um sich, musste jedoch feststellen, dass die
Ledergurte alle hielten.
    Â»Zurück!« Die Schwester mit dem
Gewehr ging einen Schritt näher ran, und das Behandlungsteam unterbrach seine
Tätigkeit, um ihr ein freies Schussfeld zu verschaffen. Einige Schwestern
eilten zu den Infusionspumpen und erhöhten die Betäubungsmitteldosis. Fünf
Sekunden lang herrschte angespannte Stille, während alle abschätzten, ob es
sicher genug war, um weiterzumachen.
    Â»Sie sorgen doch dafür, dass er
ein Anonymus wird, oder?«, brach ich schließlich das Schweigen.
    Â»Sicher.« Die Stationsschwester
hatte nur Augen für die Vorgänge im Krankenzimmer. Wie es sich gehörte, war sie
ganz bei ihrem Team.
    Ich machte mich auf den Weg
nach draußen. Die Schwester, die am Empfangstresen die Stellung hielt, sah von
einem Monitor auf und erkannte mich als Kollegin. »Wird er es schaffen?«,
fragte sie.
    Wenn er wütend genug war, um
sich zu wehren, war er hoffentlich auch wütend genug, um zu leben. »Wird sich
noch zeigen«, antwortete ich.
    Dann lief ich hinaus zu meinem
Auto. Die

Weitere Kostenlose Bücher