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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Spötteleien überdeckten, dass er eigentlich ziemlich zynisch war, aber gleichzeitig auch gütig; er durchschaute die Aufge-blasenheit der Leute und sogar seine eigenen Ambitio-nen. Er betrachtete die Lage der Menschheit als aussichtslos. Krieg fand er komisch, sah auf den Schlachtfeldern keine Helden, sondern nur Possenreißer, und mitten in den glühenden Tiraden seiner Onkel - und selbst wenn ich meine Gedichte vortrug - brüllte er vor Lachen los, wenn ihm das alles zu lange dauerte, und ich glaube, dass er nie bewusst auch nur ein höfliches Wort an meine Mutter gerichtet hat. Er war ein großer, kräftiger Mann, glatt rasiert, mit langem Haar, und er hatte wunderbare, lange, schlanke Finger, die gar nicht zu seiner Körpergröße zu passen schienen, und seine Vorfahren hatten alle plumpere Hände. Ich habe seine Hände ge-erbt. All die schönen Ringe, die er trug, hatten seiner Mutter gehört.
    Er kleidete sich prächtiger, als er es wohl in Florenz gewagt hätte, trug perlenverzierten königlichen Samt und schwere, mit Hermelin besetzte Umhänge. Seine Handschuhe waren regelrechte Kampfhandschuhe, mit Fuchs-pelz gefüttert. Er hatte große graue Augen, tiefer liegend noch als die meinen und stets erfüllt von Spott, Unglauben und Sarkasmus.
    Dennoch verhielt er sich anderen gegenüber niemals gemein.
    Seine Vorliebe für moderne Dinge beschränkte sich auf Kelche aus Glas, die er den alten Hartholzbechern oder denen aus Gold und Silber vorzog. Auf unserer langen Tafel gab es stets jede Menge funkelnder Gläser.
    Meine Mutter war immer das Lächeln in Person, wenn sie ihm Dinge sagte wie: »Mein Herr, nehmt doch die Füße vom Tisch!« oder »Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr Euch, ehe Ihr mich berührt, die fettigen Hände wüschet.«
    oder »Wollt Ihr in diesem Zustand wirklich das Haus betreten?« Aber ich glaube, unter dieser vermeintlich zu-vorkommenden Oberfläche hasste sie ihn zutiefst.
    Das einzige Mal, dass ich sie wirklich mit zorniger, erhobener Stimme sprechen hörte, war, als sie ihm in mehr als deutlichen Worten erklärte, dass die Hälfte der Kinder in den umliegenden Dörfern von ihm gezeugt war und dass sie selbst mehr als acht Fehlgeburten gehabt hatte, weil er sich genauso wenig zurückhalten konnte wie ein wilder Hengst. Er war über diesen Ausbruch - der hinter verschlossenen Türen stattfand - so verblüfft, dass er bleich und entgeistert aus ihrem Schlafgemach trat, und er sagte zu mir: »Weißt du, Vittorio, deine Mutter ist bei weitem nicht so dumm, wie ich immer dachte. Nein, ganz und gar nicht. Aber Tatsache ist, sie ist einfach fad.«
    Unter normalen Umständen hätte er niemals etwas so Verletzendes über sie gesagt. Aber in dem Augenblick bebte er förmlich.
    Und sie, sie warf einen silbernen Krug nach mir, als ich zu ihr hineingehen wollte. Ich rief: »Aber Mutter, ich bin's, Vittorio!« Da stürzte sie sich in meine Arme und weinte eine viertel Stunde lang die bitterlichsten Tränen.
    Wir sprachen nicht. Ihr kleines gemauertes Schlafgemach, das ziemlich weit oben im ältesten Turm unserer Burg lag, war mit zahlreichen antiken und modernen Mö-
    belstücken, viele davon vergoldet, ausgestattet. Dort sa-
    ßen wir zusammen, bis sie sich die Augen trocknete und sagte: »Du weißt ja, er sorgt für alle hier. Für meine Verwandten, die Onkel und Tanten. Wo wären sie denn, wenn er nicht wäre? Und er hat mir nie etwas abgeschlagen.«
    Mit ihrer gleichmäßigen, geschulten Klosterschulstimme fuhr sie fort, vor sich hin zu reden: »Schau dir unseren Haushalt an. Die ganze ältere Verwandtschaft lebt hier; ihre Lebensweisheiten sind für euch Kinder so wertvoll; und das ist so, weil euer Vater sie aufgenommen hat, dabei wäre er reich genug, um wer weiß wo zu leben. Aber er ist einfach zu gutmütig. Nur eins, Vittorio! Vittorio, nicht, dass du ... ich meine ... mit den Dorfmädchen.«
    In dem aufwallenden Wunsch, sie zu trösten, hätte ich beinahe gesagt, dass ich, soweit ich wusste, nur einen Bastard gezeugt hatte, und dem ging es gut, doch mir fiel rechtzeitig ein, dass das die absolute Katastrophe gewesen wäre. Also sagte ich nichts.
    Das war das einzige Gespräch, das ich je mit meiner Mutter führte - nur dass »Gespräch« nicht zutreffend war, denn ich sagte ja nichts.
    Aber sie hatte Recht. Drei Tanten und zwei ihrer Onkel lebten auf unserem weitläufigen, von hohen Mauern umgebenen Anwesen, und die alten Leutchen lebten gut, waren stets prächtig in die neuesten Stoffe aus

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