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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nachzugehen. Innerhalb eines Lidschlages verwandelte ich mich vom Ritter zum Gelehrten. Es lag nur ein einziger Schatten über meinem Leben, nämlich dass ich mit Sechzehn eigentlich alt genug war, um eine Universität zu besuchen; das war mir klar, und ich hatte auch nichts dagegen, aber andererseits zog ich gerade junge Falken groß, trainierte sie selbst und jagte mit ihnen, und diesem ländlichen Leben konnte ich ebenfalls nur schwer widerstehen.
    Alle Verwandten, betagte Onkel meiner Eltern meisten-teils, die sich allabendlich an der Tafel versammelten, fanden, dass ich für mein Alter - eben sechzehn - ein ziemlicher Bücherwurm war. Sie waren alle den früheren Zeiten zugetan, als die Welt »noch nicht von Bankiers regiert wurde«; sie erzählten wunderbare Geschichten über Kreuzzüge, an denen sie in ihren jungen Jahren teilgenommen hatten, oder über ihre Erlebnisse in der wütenden Schlacht von Akka oder von ihren Kämpfen auf Zy-pern und Rhodos; sie erzählten vom Leben auf See und von allen möglichen fremdländischen Häfen, wo sie der Schrecken der Schänken und der Frauen gewesen waren. Meine Mutter war eine lebhafte, schöne Frau mit braunem Haar und leuchtend grünen Augen; sie liebte das Landleben sehr, aber sie hatte Florenz auch nur hinter den Mauern einer Klosterschule kennen gelernt. Sie glaubte, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, weil ich Dantes Dichtungen las und selbst so viel schrieb.
    Sie lebte nur für ihr Hauswesen, empfing die Gäste in kultiviertem Stil, sorgte dafür, dass die Böden mit Laven-del und duftenden Kräutern bestreut waren, dass der Wein ordentlich gewürzt wurde; wenn getanzt wurde, führte sie, zusammen mit einem ihrer Großonkel, den Reigen an, denn mein Vater wollte vom Tanzen nichts wissen.
    All dies empfand ich nach meinem Leben in Florenz als recht langweilig und gemächlich. Kommt schon, wo sind die Kriegsgeschichten?
    Meine Mutter muss noch sehr jung gewesen sein, als sie mit meinem Vater vermählt wurde; denn in der Nacht, als sie starb, trug sie ein Kind, und das Kind in ihrem Leib starb mit ihr. Dazu komme ich gleich. Nun, wenigstens will ich versuchen, mich zu beeilen, auch wenn das nicht meine Stärke ist.
    Mein Bruder Matteo war viele Jahre jünger als ich, ein großartiger Schüler, obwohl er bis zu dem Zeitpunkt noch nicht zum Studieren von zu Hause fortgeschickt worden war (wäre es nur so gewesen), und meine Schwester Bartola war kaum ein Jahr nach mir geboren worden, so kurz nach mir sogar, dass mein Vater sich deswegen regelrecht schämte, glaube ich.
    Beide - Matteo und Bartola - waren für mich die schönsten und interessantesten Wesen der Welt. Wir genossen die Vergnügungen und die Freiheiten des Landlebens, streiften in den Wäldern umher, pflückten Beeren, saßen zu Füßen der Zigeuner und lauschten ihren Geschichten
    - das war, ehe man sie einfing und fortjagte. Wir liebten einander sehr. Matteo verehrte mich über alle Maßen, weil ich meinen Vater in Grund und Boden reden konnte.
    Er erkannte die friedvolle Kraft nicht, die in meinem Vater ruhte, nicht das nach alter Sitte im Zaum gehaltene Benehmen. Ich schätze, dass ich Matteos wahrer Lehrer war, um was auch immer es ging. Und was Bartola betraf, so war sie viel zu wild nach Ansicht meiner Mutter, die sich ständig über ihr verfilztes langes Haar empörte, in dem noch Zweige, Blüten und Blätter von unseren Ausflügen in die Wälder hingen.
    Bartola wurde jedoch oft genug an ihre Handarbeiten gezwungen; sie konnte singen und ihre Gedichte und Gebete aufsagen. Sie war zu fein und zu reich, um zu etwas gedrängt zu werden, das sie nicht wollte. Mein Vater betete sie an, und mehr als einmal musste ich ihm versichern, dass ich sie bei unseren Streifzügen in den Wäldern nicht aus den Augen ließ. Das tat ich wirklich nicht.
    Ich hätte jeden, der sie nur anfasste, umgebracht!
    Ach. Es wird mir zu viel! Ich hätte nicht gedacht, dass es so hart für mich werden würde! Bartola ... Jeden umbringen, der sie anfasst! Wie wallende Gespenster senken sich Schreckensbilder über mich und drohen, die kleinen, stumm dahinziehenden Lichter des Himmels verlöschen zu lassen.
    Aber ich will meinen Gedankengang wieder aufnehmen.
    Meine Mutter habe ich nie richtig verstanden, vielleicht habe ich sie auch falsch beurteilt, denn bei ihr schien es sich immer nur um Etikette und Benehmen zu drehen, und meinen Vater fand ich übertrieben selbstironisch und immer lustig. Seine ständigen Witze und

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