Vittorio
sofort als die Neuigkeit in Florenz verbreitet.
Lassen Sie mich das hier festhalten, weil es mir sehr wichtig ist: Diesen ersten Blick auf das Genie - denn das ist und bleibt Filippo Lippi für mich - habe ich nie vergessen.
»Was hat dir denn an ihm so gefallen?«, fragte mein Vater mich.
»Er ist beides, ein guter und ein schlechter Mensch«, er-klärte ich, »nicht einfach eins oder das andere. Ich sehe den Kampf, der in ihm vorgeht! Und ich habe ein paar seiner Werke gesehen, Sachen, an denen er zusammen mit Fra' Giovanni gearbeitet hat« - das ist der Maler, den alle Welt später Fra' Angelico nannte -, »und ich sage dir, ich halte ihn für brillant. Warum sollte Cosimo sich sonst solche Szenen von ihm bieten lassen? Du hast es doch gehört!«
»Und Fra' Giovanni ist ein Heiliger?«, fragte mein Vater.
»Hmmm, ja. Und das ist natürlich auch gut so. Aber hast du gesehen, was für Qualen Fra' Filippo litt? Hmm, mir gefiel das.«
Mein Vater zog die Augenbrauen hoch.
Auf unserer folgenden und letzten Reise nach Florenz zeigte er mir alle Gemälde Filippos. Ich war erstaunt, dass er sich an mein Interesse für den Mann erinnerte.
Wir gingen von einem Haus zum anderen und sahen uns die schönsten Bilder an, und dann gingen wir weiter zu Filippos Werkstatt.
Er arbeitete gerade an einem weit fortgeschrittenen Altarbild, das Francesco Maringhi für eine Florentiner Kirche in Auftrag gegeben hatte - Die Krönung der Jungfrau Maria -, und als ich das Werk sah, verlor ich fast das Bewusstsein, so sehr hatte mich die Schönheit des Bildes getroffen und so sehr liebte ich es. Ich konnte meine Augen nicht davon abwenden. Ich seufzte, und mir kamen die Tränen. Noch nie hatte ich etwas so Schönes gesehen wie dieses Bild mit der riesigen Menschenmenge darauf, und alle hatten so stille, aufmerksame Mienen, dazu die glanzvolle Versammlung der Engel und Heiligen und die geschmeidigen, graziösen Frauen, die anmutig gebeugten Himmelsmänner. Ich war verrückt danach.
Mein Vater führte mich zu noch zwei weiteren Gemälden, die beide die Verkündigung darstellten.
Nun habe ich ja schon erwähnt, dass ich als Knabe den Engel Gabriel gespielt hatte, der die Jungfrau Maria besucht, um ihr die Empfängnis Jesu anzuzeigen, und dass wir es so darstellten, als wäre der Engel hübsch, verführerisch und voller Manneskraft, und Josef kommt dazu und findet diesen umwerfenden Mann bei Maria, seinem jungfräulichen Mündel. Wir waren natürlich ein recht weltlich gesinnter Haufen, also verpassten wir dem Spiel ein wenig Pfeffer. Ich meine, wir übertrieben ein wenig. In der Heiligen Schrift steht meines Erachtens nichts darüber, dass Josef in ein Stelldichein platzt. Aber diese Rolle hatte ich am liebsten gespielt, und Darstellungen der Verkündigung hatte ich immer besonders gern gemocht.
Nun, dieses letzte Bild, das Filippo Lippi so um 1440 herum gemalt hat, sah ich kurz bevor ich Florenz verließ, und es übertraf bei weitem alles, was mir je unter die Augen gekommen war. Der Engel war wahrhaft überirdisch und doch physisch perfekt gestaltet. Seine Schwingen waren wie aus Pfauenfedern zusammengesetzt. Ich war ganz krank vor Andacht und Gier; ich wünschte mir, wir könnten das Bild erwerben und mit nach Hause nehmen.
Das war natürlich unmöglich. Bilder von Filippo standen nicht zum Verkauf. Also zerrte mich mein Vater schließ-
lich fort, und am nächsten Tag machten wir uns auf den Heimweg.
Erst später fiel mir auf, wie ruhig er meinem Wortschwall lauschte, als ich unaufhörlich über Fra' Filippo redete:
»Das Bild ist so empfindsam, hat eine solche Originalität, und doch ist es auch dann zu loben, wenn man die Maß-
stäbe der Allgemeinheit anlegt; darin liegt nämlich die Genialität, dass man etwas anders macht, aber nicht zu viel, dass man unnachahmlich ist und sich doch nicht dem Verständnis der Allgemeinheit entzieht, und genau das trifft hier auf Lippi zu, Vater, lass es dir sagen.« Ich war nicht aufzuhalten: »Das ist meine Meinung über diesen Mann: Seine Verhaftung im Fleischlichen, seine Leidenschaft für das weibliche Geschlecht, die beinahe schon wilde Weigerung, sich an sein Gelübde zu halten, all das liegt im Widerstreit mit dem Priester in ihm, denn siehst du, er trägt ja seine Kutte, er ist der Mönch Filippo.
Und aus diesem Widerstreit heraus verleiht er seinen Figuren den Ausdruck völliger Hingabe.«
Mein Vater lauschte nur.
»Das ist es«, fuhr ich fort, »dass er sich ständig mit
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