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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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geben.
    Das ist das so Paradox-Schöne am Begehren, es hört auf, kommt es an sein Ziel.
    Und danach?
    Stillstand, Langeweile. Oder Mord und Totschlag. Das Normale. Frag einen Scheidungsanwalt.
    Nein, sagte sie, besser du fragst uns.
    Es gab das Normale nicht. Keinen Alltag. Aber auch nicht die Wiederholungen, das erwartbar Störende, nicht die Gewöhnung, die lähmt.
    Sie hatte sich an den Tisch gesetzt und beobachtete ihn, wie er die Kartoffeln abgoss und noch mal abdämpfte, wie er mit einer Bratenschaufel die Schollen aus der Pfanne hob und sie auf die vorgewärmten Teller schob, neben die aufgeschnittenen Roten Bete, und die Kartoffeln dazulegte.
    Perfekt, sagte sie, du hast mir das Prinzip des Optimierens ja einmal am Beispiel des Kaffeekochens erklärt. Hier stimmt alles. Gut optimiert.
    Sie stießen an. Sehr gut. Der Wein hat einen fernen Geschmack von Brombeere, sagte er. Als Kind habe er die Beeren in einem Schrebergarten von einem Strauch stibitzt, mein Vater sah die zerkratzten Arme, fragte, und als ich es ihm sagte, hat er mir eine Ohrfeige gegeben. Seitdem ist dieser Geschmack mit der Erinnerung an Strafe verbunden, und ich esse das Brombeergelee mit einem Gefühl wie ein Eroberer, ja mit Triumph. Du hast gut gewählt.
    Sie ging nicht darauf ein, hob mit dem Messer vorsichtig das helle Schollenfleisch von den Gräten, salzte nach, schob das weiße Fleisch in den Mund, ihr Kauen, schmeckt ganz wunderbar, sagte sie, so direkt aus der Nordsee. Und nach einer längeren Pause, in der sie beide aßen, sagte sie, ich habe das erst später erfahren, von deinem Konkurs. Ich war schon drüben. Eigentümlich, der Atlantik schuf tatsächlich Raum, Entfernung zu all dem, auch zu dem Kummer anderer Menschen, nicht nur zu dem eigenen.

    Er mochte ihr Kauen, eine eigentümlich langsame, rhythmische, synkopisch unterbrochene Bewegung, die so gar nichts Gieriges, aber doch etwas zurückhaltend Genießendes hatte. Sie bemerkte seinen Blick und lobte, wie er die Schollen gebraten hatte, das Fleisch saftig und doch gar. Und er lobte abermals den Wein, dem man die Reise und die Kutschfahrt nicht anmerkte. Aber wer weiß, wie der Wein, hätte er drei Tage ruhen können, geschmeckt hätte. Eschenbach war kein Weinkenner, anders als ihr Mann, der jetzt nicht mehr ihr Mann war. Von dem er jetzt wieder dachte, ihr Mann, ja, er ertappte sich, wie er ihn für sich wieder den Planer und nicht Ewald nannte.
    Sie wischte sich mit der Serviette den Mund ab, vorsichtig, blickte auf die Serviette, auf der eine Spur Rot von ihrem Lippenstift haften geblieben war, und sagte: Ich habe dir geschrieben.
    Das erste und letzte Mal, dass ich von dir gehört habe.
    Du hast nicht geantwortet, nie geschrieben, sagte sie.
    Was, fragte er. Eine Zusammenfassung unserer Zeit? Eine Nänie? Ich wusste nicht einmal, wie ich dich im Brief hätte anreden sollen.
    Sie saßen einander gegenüber am Tisch, zwischen ihnen ein Stillleben. Was von den Schollen geblieben war: die filigranen Skelette der Gräten. Die Rotweingläser mit Spuren der Lippen.
    Und sie, die Zarte, die Gefasste – er musste das Bild, so wie er sie jetzt vor Augen hatte, verscheuchen – die, als sie einmal auf einem Sofa zusammenlagen, das zuvor Unvorstellbare, sie hatten getrunken, rief: Ja, fick mich, fick mich, und es war, als wären sie mit Benzin übergossen worden.
    Später hatte er sich gefragt, ob sie das auch zu ihrem Mann gesagt hatte. Er glaubte eher nicht, und wenn, dann nur am Anfang. Aber das Beginnen war ein mühseliges, ein, wie er wusste, über Wochen, über Monate sich hinziehendes Werben Ewalds gewesen, und dann, dachte er, bricht so etwas nicht aus einem heraus. Aber vielleicht erlag er da einer Selbsttäuschung.
    Er schenkte Wein nach.
    Dein Büro lief doch gut, sagte sie.
    Dachte ich auch. Dann brach ein großer Auftrag weg und ein anderer Kunde zahlte nicht, der war bankrott gegangen. Und einer wanderte mit dem Partner, den ich auszahlen musste, ab. Genauer, der Partner nahm den Kunden mit. Und es waren zu viele Leute in fester Anstellung. Ich hätte Leute entlassen müssen, so muss ich heute nüchtern sagen. Und, und, und. Zum Schluss war es ein kunstvolles Gewölbe, wie Kleist es beschrieben hat, alle Steine stürzen, darum halten sie. Es waren viele Schulden, und die hielten sich gegenseitig. Als ein Stein dann tatsächlich aus dem Gewölbe herausbrach, stürzte alles ein. Ich lag unter Trümmern begraben. Ja. Es kam mir gelegen, so muss ich heute sagen. Es

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