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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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sei, in das er oft mit Geschäftspartnern gehe, und in dem, so die Fama, noch die Großmutter koche. Und er erzählte einen Witz, den er auf seiner letzten Reise in Shanghai mehrmals gehört hatte. Warum haben die Europäer so lange Nasen? Weil sie die in alles hineinstecken müssen.
    Na ja, sagte Anna, wenn alle chinesischen Witze so mühsam sind.
    Aber Selma lachte, bis sie alle mitlachen mussten.
    Da bat die Galeristin um Gehör, sagte, der Künstler habe leider nicht kommen können, aber die Bilder sprächen ja für sich, redete dann doch noch eine Weile von gewohnten Sehweisen, Dekonstruktion und der Bedeutung der Farbbrüche. Sagte dann, als habe sie das Wort Brüche an das Geschäft erinnert, die Preise erfahre man auf Anfrage.
    Es wurde geklatscht und beifällig gemurmelt. In dem Moment sagte Anna, diese so dezent elegant gekleidete Frau: Was sind das nur für Typen, und aus ihrem sonst so nachdenkliche Sätze bildenden Mund kam: Allein diese beiden Galeristen, die Frau, der Mann, so was von Arschgesichtern.
    Ewald sagte: Nicht so laut!
    Nein, beharrte Anna, sieh dir diese Frau an. Dieses auf Intellektualität getrimmte dürre schwarze Gespenst, mit der übergroßen Hornbrille auf der Nase. Dieser mokant dämliche Zug um den Mund. Und daneben ihr Typ, dieser Schnösel, dieser Blick, dieses coole Getue. Zum Dreinschlagen. Und die anderen. Da hast du unsere Gesellschaft versammelt. Knete und Ästhetik. Gut, dass der Maler nicht gekommen ist, das macht ihn mir sympathisch, auch wenn die Bilder nichts taugen.
    Ewald sagte abermals, bitte, Anna, nicht so laut! Warte wenigstens, bis wir draußen sind.
    Nein, das muss hier gesagt werden.
    Du sitzt doch auch hier.
    Eben, wir sitzen mittendrin und sollten deshalb gehen. Und zu Eschenbach gewandt sagte sie: Kein Missverständnis, ich habe nur ein Glas Rotwein getrunken. Und der war auch noch ziemlich sauer.
    Eschenbach, überrascht von der ungenierten Boshaftigkeit, lachte: Er stimme ihr zu, sowohl was die Typen als auch was den Rotwein angehe. Flüchtig hatte er dabei Annas Hand berührt, und ihm war, als hätte er einen kleinen elektrischen Schlag bekommen. Ihm kam der alberne Gedanke, dass diese elektrische Ladung wohl mit dem vollen Haar, das so metallen schimmerte, zusammenhing. Konnte man sich im Sitzen elektrisch aufladen, oder war ihre Wut so groß, dass man sie in Ampere messen konnte?

    Selma drängte darauf, sich gleich am nächsten Wochenende in dem von Ewald genannten chinesischen Restaurant zu treffen.
    Der nächste Samstag?
    Ewald suchte in seinem elektronischen Timer. Ich kann.
    Anna sagte den in Eschenbachs Ohren so schön klingenden Satz, sie werde Zeit haben. Selma hatte sowieso Zeit. Und Eschenbach nahm sich vor, jeden Termin, den er zu Hause im Planer fände, und sei er noch so wichtig, zu verlegen oder abzusagen.
    Die beiden Paare verabschiedeten sich mit der Versicherung, wie schön der Abend trotz der nichtssagenden Bilder gewesen sei. Auch Eschenbach stimmte dem zu, obwohl er die Bilder, etwas Abstraktes in monochromem Grau, gar nicht richtig angesehen hatte.

    Der erste warme Frühlingsabend, auch das Wetter war ihrer Stimmung günstig. Paarweise umschlungen, gingen sie die Straße entlang zu einem Taxistand.

    Wie nahe Selma ihm immer noch ist, wie freundlich und ohne jeden Groll sie ihm begegnet, auch hier auf der Insel, ihre Wärme, ihre Zukunftsfreude, ihre körperliche Zugewandtheit auch als Geisterfreundin.

    Selma kam aus Polen, aber jeder, auch er, glaubte auf den ersten Blick, sie sei Türkin, die glänzend schwarzen Augen, die widerspenstigen schwarzen, durch eine Schildpattspange gebändigten Haare, aber vor allem, weil sie oft so verheißungsvoll verbergende Pumphosen trug, Lederarmbänder, Selbstgeschmiedetes aus Silber an Hals und Handgelenken. Selma, die, so sagte er für sich, wie ein Kissen war, eines dieser Kissen, die für Astronauten in ihrer Schwerelosigkeit entwickelt worden waren, für sie, die in ihren Kapseln die Erde umkreisten, war Selma unerreichbar fern, ihm war sie auf wunderbare Weise nahe und wie angepasst, hier die Fülle der Hüfte, der untere Rippenbogen, der Busen, die Arm- und Beinbeuge. Und vor allem das, sie war eine Wunschdeuterin, eine Wunscherfüllerin.
    Die Vermutung, die ein Freund geäußert hatte, dass Selma einem doch recht rückständigen, wenn auch sehr angenehmen Frauenbild entspräche, dem, wie er sagte, man ruhig nachtrauern dürfe, traf nicht zu. Im Gegenteil, sagte Eschenbach, sie weiß

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