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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Menschen, die so dumm gewesen waren, sich hier zu verstecken. Der Fels erstickte sie, auch der heisere Atem, der beißende Geruch nach Haut und Schweiß, die kräftigen Gestalten, die zwischen ihr und der Tür standen … All das vermischte sich in ihrem übermüdeten Verstand mit dem Gedanken an den Stein, der sie umgab: dicht, grau, ermüdend. Der Stein. Der Stein, der bis tief in ihre Kehle zu dringen und sie zu ertränken schien.
    Die »Krankheit enger Räume« … In Sarsan wurden manche davon gepackt. Sie ertrugen die winzigen Gebäude und die engen Gassen der Stadt nicht mehr. Also zogen sie aufs Land, wo der Himmel weit war und sie atmen konnten.
    Non’iama sog die stickige Luft ein. Sie musste ins Freie. Bevor ihr Herr, Arekh, sich zwischen sie und die Soldaten geworfen hatte, die auf sie zugestürmt waren, hatte er ihr befohlen, sich zu verstecken. Sie hatten sich getrennt und abgemacht, sich nach fünf Tagen in Quellhausen an der Oststraße wiederzutreffen. Bei der großen Felsnadel , hatte Arekh ihr zugeflüstert, und Non’iama war geflohen. Sie hatte ihr blondes Haar unter einem Tuch verborgen und sich unter die Flüchtlinge gemischt … Aber das wurde jetzt zu gefährlich. Sie war nicht mehr in Sicherheit. Ein Funken, und die Menge würde in Brand geraten wie eine Pulverspur. Non’iama würde erdrückt und getötet werden - oder ihr Kopftuch in der Menschenmasse verlieren. Man würde sie als Tochter des Türkisvolks erkennen und dann …
    Dann würde alles vorbei sein.
    Sie musste hinaus.

    Non’iama stand auf. Am Boden neben ihr hatte der Leichnam zu bluten aufgehört; das Blut um die Verletzung begann zu gerinnen. Das kleine Mädchen stieg über die Frau hinweg, die an der Wand zusammengesackt war. Ihr von Blutergüssen übersätes Gesicht wurde noch immer von Schluchzern geschüttelt. Non’iama stieß gegen einen Sack, schlüpfte zwischen zwei Kindern hindurch, drängte sich durch eine Menschengruppe … und kam plötzlich nicht mehr weiter. Die Flüchtlinge bildeten eine kompakte, drückende Masse. Non’iama fühlte sich, als ob eine Faust ihr die Lunge zusammenpresste. Plötzlich geriet sie ohne Vorwarnung und ohne Grund in Panik - sie brauchte Luft, Luft, sie musste atmen, musste ins Freie, bevor man sie tötete …
    Sie warf sich von blindem Entsetzen getrieben voran, versuchte, die unförmigen Körper beiseitezudrängen, geriet in ein Gewirr aus Rücken, Schenkeln und Gepäckstücken, schob, zerrte, hörte wütende Proteste und überraschte Ausrufe; eine Männerhand stieß sie zurück, sie fiel beinahe hin, fing sich, sah sich um, bemerkte, dass sie nur wenige Meter vorangekommen war.
    Ein Schrei ertönte an der Tür, und sie begriff, dass es zu spät war.
    »Sie sind über die Brücke gekommen!«, kreischte eine Frauenstimme außerhalb des Schankraums in dem Felsgang, der die Höhlenherberge mit der Außenwelt verband. »Sie sind diesseits der Brücke!«
    Und die Menge explodierte.
    »Sie« - das konnte jeder sein. Seit der türkisfarbene Stern in Flammen geraten war und den Himmel verschlungen hatte, war der Westen der Königreiche in ein Meer aus Feuer und Blut gestürzt. Im Norden sorgten
die Kreaturen der Abgründe und ihre Schergen für Mord und Zerstörung. Im Südwesten eilten ihnen die Meriniden voraus, immer weiter nach Süden; sie nutzten die Panik, die die Eroberer ausgelöst hatten, um ihrerseits die Länder ihrer Rivalen zu erobern. Die Sarsen und die Überlebenden aus den Wüstenstämmen versuchten, sich ihnen entgegenzustemmen, und all das war nichts oder wäre nichts gewesen, wenn nicht im Augenblick des Großen Opfers die Sklaven vom Türkisvolk die Laune ihres Sterns für ein Zeichen der Götter gehalten hätten: Sie hatten sich in einem blutigen Aufstand gegen ihre Herren gewandt. Seitdem durchstreiften auch noch die überlebenden Rebellen die Lande wie Wolfsrudel.
    Ja, »sie« mochten aufständische Sklaven sein oder aber Soldaten, die Meriniden oder eine andere Armee, ganz gleich welche - hier, westlich der Berge, war die Welt wahnsinnig geworden, und alles, was die Wesen, die heute hier umherirrten, gerade noch zu hoffen wagten, war, einen weiteren Tag zu überleben.
    »Sie kommen!«, brüllte irgendjemand irgendwo.
    Eine Welle der Panik lief durch die Gruppe, und Non’iama wurde weggestoßen, die gesamte Strecke zurück, die sie so mühsam vorangekommen war. Ganze Familien sprangen in einer Aufwallung von Furcht auf, so dass eine heftige Brandung die Menge

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