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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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erfasste. Non’iama wurde gegen die Wand geschleudert und stieß sich den Kopf; für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen … Als sie wieder zu sich kam, wurde sie von den Körpern in Panik geratener Menschen gegen den Stein gepresst; sie spürte, dass sie keine Luft mehr bekam, der Fels, der Fels würde gewinnen, der Stein drang ihr in
die Kehle, sie würde ersticken, sterben, zerquetscht werden, wie das Schicksal sie schon von Geburt an erdrückt hatte …
    Das Tuch glitt ihr vom Kopf, und das blonde Haar fiel ihr dünn und schmutzig über die Schultern. Sie sah, wie ein Junge sie anstarrte, irgendetwas rief und mit dem Finger auf ihre Haare zeigte. Aber sein Schrei ging in der Menge unter.
    In einem letzten Aufbäumen versuchte sie, sich zu befreien, zu fliehen, während der Junge am Ärmel seiner Mutter zupfte und wieder auf Non’iama wies.
    Eine Hand packte sie an der Schulter, und eine Frauenstimme drang an ihr Ohr: »Hier entlang, Kleine.«
    Die Stimme war ruhig und beherrscht, ein Hoffnungsschimmer der Vernunft in einem Meer aus Wahnsinn, und Non’iama hielt sich daran fest. Die Hand zog sie durch die Menge. Non’iamas Gesicht stieß mit Beinen und Leibern zusammen, aber jemand half ihr, sich einen Weg zu bahnen, zog sie mit … Das Knarren einer Tür, die sich schloss … ein Riegel …
    Und Stille.
    Das kleine Mädchen sah sich um.
    Sie befand sich in der Küche, einer langen, engen Nebenhöhle. Die Ruhe dort tat ihr wohl wie ein Balsam. Die Frau, die sie gerettet hatte, war kräftig; sie trug fleckige Leinenkleider. Die Fackel, die an der Steinwand befestigt war, beleuchtete rotblondes Haar, viel zu hell, um das einer freien Frau zu sein.
    »Schnell«, sagte die Fremde und zog Non’iama auf das Ende des Zimmers zu.
    Non’iama warf einen Blick zur Tür: Der Riegel würde nicht mehr lange halten. Der Türflügel vibrierte bereits
unter dem Druck derjenigen, die von draußen in Panik und Verzweiflung dagegenstießen.
    »Schnell«, wiederholte die Frau, und sie stiegen zwei kleine Stufen hinunter, tiefer in die lange Höhle hinein, die sich in den Felsen grub, bis sie schließlich eine scharfe Kurve nach links machte.
    Hinter ihnen wurde weiter auf die Tür eingeschlagen, und sie rannten durch eine Welt, die das kleine Mädchen gut kannte: die des Wirtschaftstrakts, in dem vor dem Aufstand das Essen für die freien Menschen zubereitet worden war. Die Küche, die ins Innere des Berges gehauen war, ähnelte zwar derjenigen in Sarsan, in der die Kleine aufgewachsen war, nicht besonders, aber es gab hier die gleichen Wasserbecken, die Reihen von Kochtöpfen und Kesseln aus Kupfer und Zinn, den mit Kohle beheizten Herd und den gleichen Geruch nach kaltem Fett, Obstschalen und angebranntem Zucker, der immer an den Wänden haften blieb, wie oft man sie auch putzte.
    Und natürlich gab es Sklaven.
    Sie waren ganz am Ende, dort, wo die Höhle sich nach einer neuerlichen Biegung zu einer leeren Speisekammer erweiterte. Non’iama sah einen Mann und eine Frau, die sich bückten - und dann versank die Frau im Boden. Nein, sie stieg nur durch eine Falltür hinab, wie Non’iama im Näherkommen begriff.
    Weit hinter ihnen gab das misshandelte Holz der Tür mit einem letzten Krachen nach. Die rotblonde Frau stieß Non’iama vor sich her, ohne sich umzusehen. Durchdringende Kinderschreie ertönten aus dem vorderen Teil der Küche. Non’iama konnte sich vorstellen, dass verängstigte Familien unter dem Druck der Menge in die Wirtschaftsräume
stolperten und sogleich von anderen niedergetrampelt wurden.
    Die Falltür. Der Sklave hielt sie auf und wartete auf die rotblonde Frau. »Miu! Beeil dich! Komm runter … Um-Akr soll verflucht sein«, fügte er hinzu, als er Non’iama sah. »Wer ist denn das?« Er öffnete den Mund, wie um zu schreien, hielt sich dann aber zurück, um nicht die Aufmerksamkeit derer zu erregen, die jetzt in die Küche eindrangen. »Beeil dich, mach schon!«
    Er versuchte, die Frau durch die Falltür zu stoßen, aber sie wehrte sich und wollte Non’iama vorgehen lassen. Es kam zu einem kurzen, stillen Kampf, bei dem es für das kleine Mädchen um Leben und Tod ging: Der Mann wollte Non’iama zurücklassen, aber Miu wollte das nicht. Hinter ihnen wurden die Schritte und Rufe immer lauter. Plötzlich gab der Mann nach; Non’iama stieg hinunter.
    Die beiden anderen folgten, und der Mann verschloss sorgfältig die Falltür über ihnen, bevor er die Sprossen hinunterstieg, die in die

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