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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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Eltern in ihren Anfängen in den frühen siebziger Jahren geschrieben hatten.
    Seine! Eltern!
    Unter normalen Umständen hätte sich Suchanek die natürlich von eisigen Rückenschauern gebeutelt sofort en bloc reingezogen. Aber jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Die Mantlerin verbrannte schließlich nicht alle Tage.
    Als Nächstes fand Suchanek seine unfassbar coolen Stiefeletten, die er mit sechzehn getragen hatte; bedrohlich zugespitzte Lederdolche, die eine Art Gamasche aufgenäht hatten und die Lächerlichkeit, welche Suchanek einst – wobei manche sagten, einst sei noch nicht zu Ende – als Aura-Ersatz gedient hatte, auf eindrucksvolle Weise unterstrichen haben mussten. Suchanek war eigentlich davon ausgegangen, dass seine Mutter die damals als Revanchefoul für eine selbst für seine Verhältnisse außergewöhnlich hartnäckige Niederlagenserie am Schularbeitensektor weggeworfen hatte. Aber, schau. Sie war ja gar nicht so.
    Dann ein Pessar, bei dessen Anblick ihm einfiel, dass er es als Kind beim Stierlen im Nachttisch seiner Mutter schon einmal gefunden, für einen etwas eigenartigen Luftballon gehalten und auch versucht hatte, ihn aufzublasen. Und jetzt eben seinen alten Teddybären, den er einst schon alt übernommen hatte. So alt, dass er wohl eher Fourthhand gewesen war als Second. Und obwohl er ihn vom Kaiszer geschenkt bekommen hatte, war es sicher nur ein blöder Zufall, dass die aus einem dicken, schwarzen Zwirnsfaden bestehenden Lippen abgerissen waren und die nunmehr einsam zurückgebliebene Nase des an sich nicht unsympathischen, wenngleich immer schon ein wenig kratzig gewesenen Tieres tatsächlich stark an ein Hitlerbärtchen gemahnte.
    «Dein Teddybär», wiederholte Grasel.
    «Ja. Der Gröbaz praktisch. Ist mir früher nie aufgefallen.»
    «Ehrlich jetzt, Suchanek: Mir ist früher auch so manches an dir nicht aufgefallen.»
    Es hatte eine Weile gedauert, bis die Kunde, dass die heilige Johanna verbrannt war, zu Suchanek vorgedrungen war. Also, jetzt weniger die Jungfrau von Orleans, obzwar es bei der noch viel länger gedauert hatte, was aber in ihrem Fall natürlich an der auch dem Suchanek zuteilgewordenen Gnade der späten Geburt lag. Bei der heiligen Mantler Johanna hatte es hingegen mehr damit zu tun gehabt, dass er nach seinem anstrengenden nächtlichen Ausflug vom Schlaf dermaßen übermannt worden war, dass der Grasel sieben, acht Mal angerufen hatte, bis der Suchanek irgendwas gehört hatte. Und danach noch vier Mal, bis er auch hingegangen war.
    Und es war angesichts der Tatsache, dass es dann schon früher Nachmittag war, auch nicht mehr so, dass der Grasel, wie ursprünglich ausgemacht, etwas vom Suchanek erzählt haben wollte, sondern dass er umgekehrt Neuigkeiten für ihn hatte. Natürlich hatten sich die Nachbarn vom Fünfer-Mantler und langsam überhaupt das ganze Dorf Gedanken gemacht, wo denn die heilige Johanna stecken könnte. Überhaupt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie nicht nach Polen mitgefahren war, um den Buben bei der Ziehung der perfekten Furche moralisch zu unterstützen. Der Kanschitz hatte ja noch in der Nacht den alten Mantler angerufen, und der war vor Zorn fast durch das Handy gekommen, als er gehört hatte, was passiert war, und vor allem, welche Rolle die Feuerwehr dabei gespielt hatte. Aber wie der Kanschitz die Frage vom Mantler, warum ihm das alles eigentlich nicht seine Frau erzähle, mit «Ich hab mir gedacht, die ist bei dir!» beantwortet hatte, da war der Fünfer dann dem Vernehmen nach recht schnell leiser geworden.
    Als der Bernhardsauer Kommandant endlich «Brand aus» gegeben und den Wulzendorfer Kameraden großherzig die Beseitigung der restlichen Glutnester überlassen hatte, war es schon zehn Uhr Vormittag gewesen. Und dann hatte die frustrierte Heimmannschaft sicher noch eine Stunde, wenn nicht länger, die qualmenden Trümmer auseinandergeräumt, bis schließlich der Urban Ernstl, als er mit der kleinen Kübelspritze auf ein besonders hartnäckiges Glutnest draufhielt, mit einiger Verwunderung feststellen musste, dass das Glutnest Zähne hatte.
    Jetzt haben zwar verbrannte Leichen in den Augen von uns alten Europäern insofern ganz viel mit Japanern oder Chinesern gemeinsam, als sie ebenso wie diese stark dazu tendieren, eine wie die andere auszusehen. Aber erstens: Wer sollte denn die Leiche bitte sonst sein, wenn nicht die Mantlerin? Und zweitens: Auch wenn die kriminaltechnische Ausrüstung von CSI Wulzendorf zu wünschen übrig

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