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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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Angelegenheiten nicht spielen und musste jede Eventualität einkalkulieren.
    Suchanek riss sich also von der Tatortbeobachtung los, auch weil jetzt nicht so höllisch viel zu sehen war. In diesen Serien war das doch immer um ein Eckhaus interessanter. Er gab dem Hund zu fressen, der ja daran gewöhnt war, sofort nach dem Aufstehen gefüttert zu werden, an dieser Gewohnheit wollte der Suchanek jetzt gar nicht viel ändern, auch wenn sein Vater um gute acht Stunden früher aufstand als Suchanek heute. Dann wollte er sich einen Kakao machen und zerknüllte den Zettel, den er auf der Milchpackung gefunden hatte und auf dem stand «Milch hält länger als bis zum Ablaufdatum», nachdem ihm die saure Milch klumpenweise in die Tasse geklatscht war.
    Suchanek putzte sich die Zähne und hätte sich auch gerne rasiert, musste aber feststellen, dass sein Vater immer noch jenen Rasierapparat benutzte, den ihm wohl einst der Großvater anlässlich des ersten Barthaares aus der Sperrmüllsammlung geholt hatte. Und Suchanek hatte bei seinem überstürzten Aufbruch am Vormorgen nun wirklich nicht auch noch daran gedacht, einen Einwegrasierer mitzunehmen. Er zog sich an, scheuchte den Hund in den Garten und fuhr los.
    Es war warm. Sehr warm. Eigentlich war noch Frühling, aber da konnte man ja fragen, wen man wollte, vorzugsweise natürlich alte Leute wie ihn, die sich noch an ganz andere Zeiten erinnern konnten: Es gab ja keine Übergangszeit mehr. Gerade waren noch die Eisblumen auf den Scheiben gewachsen, wobei, was heißt Eisblumen, so was gab’s ja heute auch nicht mehr mit dem Isolierglas und allem, und auf einmal: Peng! Sommer. Im Mai. Man müsste halt dringend auch einmal wieder die Jahreszeiten entschleunigen, dachte Suchanek. Entschleunigung war ja generell ein großes Anliegen von ihm.
    Er kurbelte die Seitenscheibe des Autos herunter und legte den Kopf in den Wind. Bei der Lacke stank es noch erbärmlicher als gestern. Unten am Wasser saß wieder der Schneckerl. Suchanek winkte aus dem Fenster, aber der trinkfeste Fischer schaute nur verdutzt; er schien ihn nicht zu erkennen. Und dann kam immer noch der Bahnübergang. Suchanek blieb stehen. Er schaute links, er schaute rechts.
    Himmel, Suchanek. Aufgelassen. Auf-ge-las-sen!
    Dann rollte er ganz langsam den Fußballplatz entlang und kam zum Volksfest. Und man konnte es nicht beschönigen. Das Gelände tat im Wesentlichen eigentlich nur eines: erwartungsvoll daliegen.
    Jetzt war der Freitag natürlich sowieso immer ein bisschen problematisch, weil er zwar ein Fenstertag war, aber eben trotz des hervorragenden Rufs, den Fenstertage verdientermaßen österreichweit genießen, nicht automatisch arbeitsfrei. Sicher, so mancher, der den Eröffnungsabend zu Christi Himmelfahrt im Bierzelt genossen hatte, nahm sich vielleicht den nächsten Tag eh frei, weil er wusste, es war ja für einen guten Zweck und es galt, das große Ganze und vielleicht eine neue Pumpe, die dann auch tatsächlich pumpte, im Auge zu behalten, und nicht ausschließlich die Zahl der Urlaubstage, die dann vielleicht im August, wenn die Frau nach Jesolo will, ein wenig knapp werden konnten.
    Wieder andere fühlten sich Freitagfrüh doch etwas schwach und boten der Ausbeuterklasse trotzig die Stirn, indem sie sich krankmeldeten. Aber es gab trotzdem immer noch genug arme Schweine, die arbeiten mussten. Da jetzt aber die Kinder ja auch schulfrei hatten, weil sich natürlich kaum ein Tag für die in einem modernen Bildungssystem unabdingbare Lehrerfortbildung dermaßen heftig aufdrängt wie ein Fenstertag, hatte der alte Mantler, der ja auch ganz gute Beziehungen zum Land hatte, schon vor Jahrzehnten einmal oben nachgefragt, ob man diesen Tag nicht irgendwie zumindest zu einem Bezirksfeiertag machen könnte. Aber, was sollte man sagen: Die hatten abgelehnt. Typisch. Wenn die Bernhardsäue angefragt hätten, wäre das sicher anders ausgegangen.
    Darum war also der Freitag schon immer ein bisschen das Sorgenkind der Feuerwehr gewesen. Aber der heutige war eine Katastrophe. Gerade einmal ein Fahrzeug im Autodrom bewegte sich, das Tagada daneben stand überhaupt leer. Derselbe Schausteller wie gestern machte denselben brüllend komischen Witz: «Action, Spannung, Spaß! Treten Sie näher, steigen Sie ein! Drei Mal fahren – und nur vier Mal zahlen!»
    Ein paar Männer, die er nicht kannte, wohl auch alle Schausteller, standen vor der Grillhendlstation, in der sich leere Spieße sinnlos drehten, diskutierten

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