voll im Einsatz
MEINEM Zettel aussieht und beginnt:
» Liebe Frau Tönning,
›Goethe?‹ Felsbrockenalt!
›Hangen und bangen?‹ Man sollte nicht bangen. Jede Gewissheit ist besser als das schreckliche Nichtwissen und Bibbern.
›Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein?‹ Okay, das bin ich. Ziemlich doll ich, glaube ich.«
Die Klasse kichert leise. Frau Tönning liest weiter, aber die nächsten Sätze gehen in dem Rauschen unter, das sich in meinen Ohren ausbreitet. Ich starre nur regungslos nach vorne. Frau Tönning liest und liest. Ab und zu nehme ich weiteres Kichern wahr.
Müsste ich jetzt nicht schnellstens aufspringen und nach vorne hechten und Frau Tönning meinen Zettel aus den Händen reißen, bevor ich vollends wie der letzte Idiot dastehe?
Doch ich tue nichts. Ich bleibe sitzen und … fühle mich grauenvoll.
Dann versuche ich, mich wieder zusammenzureißen.
»›Glücklich allein‹ «, höre ich Frau Tönnings Stimme, » ›ist die Seele, die liebt?‹ Tja. Das will ich mal nicht hoffen. Ich meine, ich werde ja wohl immer allein bleiben und keinen finden, der mich liebt, und sollte wohl deshalb auch nicht lieben, sondern … Ach, egal.«
Das immer lauter und lauter werdende Giggeln der Klasse legt sich wie ein gurgelndes Wattekissen um mich herum.
»Oh, du Aaaarme! KEINER liehiebt Liviiii!«, brüllt Tom durch das Wattekissen hindurch und erntet dafür reichlich Kicherbeifall.
Frau Tönning scheint davon allerdings ganz und gar unbeeindruckt; mit gleichbleibender Stimme liest sie auch noch das Ende meines Geschreibsels vor: » Und ja – okay – auch wenn ich es nicht gut finde, zu hangen und zu bangen, zugegeben, ich tue es auch … Was eben daran liegt, dass ich auch liebe. Und zwar schon sehr lange. Sogar jemanden, den Sie kennen. Aber glücklich macht mich das nicht! Olivia Martini.«
Die Klasse ist nicht mehr zu halten.
»Wen liebst du denn, Livi?«, grölt Jasper durch den Raum.
»Livi liiiebt! Livi liiiiebt!«, quietscht Kaya, die dumme Schnepfe. »Och neeee, wie süüüüß!«
»RUHE!«, brüllt Frau Tönning und sieht nicht sehr erfreut aus. »Olivia teilt uns hier ihre innersten Gefühle mit. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu lachen! Ihr solltet euch ein Beispiel an ihrem Mut nehmen, uns das anzuvertrauen!«
Mut ?
Anvertrauen ?
Hat die sie noch alle?
Ich könnte direkt noch mal kotzen. Gleich hier auf den Tisch. Spinnt die, das laut vorzulesen?
Todo va a pedir de boca! – Alles läuft wie am Schnürchen!
A lles bingo! Unser Job läuft muy fantástico ! Jedenfalls wird er das bald. Da gibt’s keinen Zweifel. Und dann werden die Geldscheine nur so vom Himmel regnen!
Dodo und ich haben gestern einen großen, echt liebevoll angemalten Karton neben den Eingang zur Pausenhalle gestellt.
MADAME DIAMANT GIBT ANTWORT!
Das steht in großen roten Buchstaben auf einem blassrosa Hintergrund. Sieht totalo acojonante , echt supertoll aus!
Aber – ups – ich fürchte, mein Spanisch lässt leider gerade etwas nach. Totalo? Totalmente ! Wird Zeit, dass Javi und Ramón wieder kommen. Doch das wird leider erst im Mai sein, hat Javi gesagt. Er und Ramón müssen grad an der Uni schrecklich büffeln. Und jetzt haben wir erst März!
Seufz. Macht mich das gerade traurig?
NEIN. Goldene Regel: Kopf hoch! Und positiv denken! Es hat bestimmt auch Vorteile, dass mein Freund so weit weg in Spanien ist.
Denk … grübel … Hat es? Hm, muss mal eben Dodo anrufen. Wo ist denn nur mein Handy? Ich hatte es doch eben hier auf meinem Schminktisch … unter meinem Haarband vielleicht?
Ringelingelingdingdong!
Huch? Was – wo? Das kommt ja aus meinem Papierkorb!
Ich fische zwischen alten Schminktüchern und leeren Tuben und Cremetiegeln herum und – sehe mein Handy! Wie ist das denn da reingekommen?
Meine Güte, ich sollte wohl nicht so oft aufräumen! Ist ja geradezu gefährlich! Dabei können wirklich erschreckend leicht Dinge verlorengehen. Ich schaue aufs Display. Dodo! Das ist doch mal wieder irre! Echte Gedankenübertragung.
»Dodo! Acojonante , super, dass du anrufst! Ich dachte nämlich gerade an Javi und Ramón und wollte dich fragen, was du so … – Wie? Du hast WAS?«
Ich halte die Luft an. Goldene Regel: Immer Haltung bewahren!
Sie blubbert weiter.
»Du hast einen Brief von Henry ?«, wiederhole ich schließlich so beherrscht wie möglich.
Dodo kichert. »Ist das nicht witzig?«
Wie gesagt, am Dienstag hatten wir die Idee und gleich am nächsten Tag, am Mittwoch, also
Weitere Kostenlose Bücher