voll im Einsatz
eben wirklich versucht, mich vor allen anderen lächerlich zu machen?
Natürlich kann man nicht ewig auf Kloböden hocken bleiben. Also stand ich auf und öffnete das kleine Fenster oben an der Außenwand. Etwas frische Luft, dachte ich, würde nicht nur mir, sondern auch dem Raum hier gut tun. Ich reckte meine Nase aus dem schmalen Spalt raus und sah, dass genau vor dem Fenster die Mülltonnen der Schule standen. Auch nicht so viel besser als der Kotzgestank hier drinnen.
Aber dann sah ich noch etwas. Einen Jungen, der mindestens zwei Jahre jünger war als ich, und der sich zwischen zwei Tonnen anscheinend häuslich eingerichtet hatte. Seine Jacke lag auf dem Boden, er lag bäuchlings darauf und starrte auf einen von diesen schrecklichen Gameboys. Mit seinen kleinen Händen hämmerte er wild darauf rum.
Ich zog die Augenbrauen hoch. Was sich manche von diesen Rotzlöffeln denken! Schule schwänzen und Gameboy spielen! Und – iiih –wie gemütlich! Zwischen Mülltonnen! Der will wirklich nicht entdeckt werden.
Ich muss wohl automatisch so was wie »Tzzz!« gemacht haben, denn der Kleine guckte plötzlich auf, sah meine Nase aus dem Fenster hängen und wirkte augenblicklich wie ein ins Wasser gefallenes Stallkaninchen, das ins offene Maul eines Haifisches starrt. Ich musste beinahe lachen. Ich bin doch kein Haifisch!
Doch in der gleichen Sekunde fiel mir ein, was die Sahnetorten erzählt hatten. Über diesen zitternden Sechstklässler zwischen den Mülltonnen. Und die Kratzer in seinem Gesicht, die sah ich jetzt auch. Kein Zweifel, das musste der Junge sein, von dem Cäcilie, Kaya und Liane gesprochen hatten.
Na ja, zittern tat er nicht. Jedenfalls nicht, so lange er noch Gameboy gespielt und sich unbeobachtet gefühlt hatte. Jetzt aber sah ich ein erstes Zucken um seinen Mund. Und begann da nicht auch, sein ganzer Körper ein wenig unter seinem Pulli zu bibbern?
Wir starrten uns eine Weile stumm an, dann fragte ich schließlich: »Hast du keinen Unterricht?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»In welche Klasse gehst du denn?«, hakte ich nach.
»In gar keine«, wisperte der Junge kaum hörbar.
Der Müll stank wirklich ziemlich unangenehm. Mir war absolut unverständlich, wie der Kleine dort hocken konnte.
»Du gehst doch bestimmt in irgendeine Klasse?«
Der Junge schüttelte hartnäckig den Kopf.
»Warte mal«, sagte ich da, »ich komme raus zu dir.«
Doch das schien den Kleinen so zu erschrecken, dass er aufsprang, seine Jacke vom Boden hochriss, den Gameboy eilig in die Tasche stopfte und auf und davon rannte. Ich starrte ihm durch den kleinen Fensterspalt nach. Was für ein merkwürdiger Kerl! Ob ihn wirklich jemand verhauen hatte?
Wie auch immer. Die Sache hatte mich jedenfalls von meinem eigenen Elend abgelenkt und ich hatte immerhin das Gefühl, zurück in den Unterricht gehen zu können.
Ja, und nun stehe ich vor unserer Klassentür und versuche, mich selbst zu überreden, anzuklopfen. Denn leider steigt mein eigenes Elend genau in diesem Moment nun doch wieder in mir auf.
Ich höre Frau Tönning drinnen mit lauter Stimme reden und sehe förmlich durch die geschlossene Tür, wie die ganze Klasse ihre Augen auf sie gerichtet hat. (Na ja, also die meisten. Die Sahnetorten werden wohl unter dem Tisch wie immer in Modekatalogen blättern, und Tom und Magnus tippen garantiert auf ihren Handys rum. Ebenfalls unter dem Tisch.)
Ich seufze. Die Vorstellung, dass sich gleich alle Blicke statt auf Frau Tönning auf mich richten werden, sobald ich die Tür öffne, finde ich nicht sehr verlockend.
Ich meine, normalerweise würde ich so was komplett übersehen. Weil die anderen mich nämlich sowieso noch viel mehr übersehen würden. Aber heute ist irgendwie alles anders. Daniel hat schon dreimal mit mir gesprochen. Und mich mindestens viermal direkt angeschaut.
Was eigentlich nicht schlimm wäre. Sondern ganz schön. Superschön sogar! So schön, dass man nur noch lächeln könnte! Aber es ist eben ganz und gar nichtschön! Nein, es ist der reine Horror!
Daniel hat sich über mich lustig gemacht! Vor allen anderen! Das ist doch so ungeheuer – so unfassbar gemein! Das ist … das ist …! Und wer weiß, was noch passiert, wenn ich gleich durch diese Tür trete!
In diesem Moment höre ich Schritte auf dem langen Schulflur. Und schon biegt Gerold um die Ecke. Gerold Grünberg, unser Direktor. Gregorys Vater.
Hier in der Schule sieht er so ganz anders aus als gestern Nacht im Garten. Kaum zu glauben,
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