1527 - Phantom der Hölle
Es sollte eine kleine Feier werden, aber irgendwie hatte es sich herumgesprochen, dass Harry Stahl einen runden Geburtstag feierte.
Und so waren es doch mehr Gäste geworden. Harry hatte Glück, dass er in einem Raum feierte, in dem genügend Platz war.
Er hatte sich für einen Brunch entschieden und war jetzt froh, dass man die Tafel recht großzügig gefüllt hatte, sodass das Dutzend Gratulanten trotzdem satt werden konnte.
Es gab auch einen Gast, der extra aus London gekommen war.
Und das war ich, John Sinclair. Da ich dienstlich nicht eingespannt war, hatte ich es einfach als meine Pflicht angesehen, der Einladung zu folgen. Wenn man fünfzig Jahre alt wird, ist das immerhin ein Ereignis, und der Trip von London nach Frankfurt war nichts weiter als ein Katzensprung.
Mit einem Regionalzug war ich weiter bis Wiesbaden gefahren, und von dort hatte mich ein Taxi an der Ort der Feier gebracht.
Ich war gewissermaßen als Überraschungsgast gekommen. Das hatte ich mit Dagmar Hansen, Harrys Partnerin, abgesprochen. Sie hatte ihren Freund damit überraschen wollen, und genau das war ihr gelungen, denn Harry hatte sich wahnsinnig gefreut. Sogar Tränen der Freude waren ihm in die Augen gestiegen.
Wir hatten wirklich gut gegessen und getrunken.
Das Wetter spielte ebenfalls mit. Es war nicht zu warm, und trotzdem schien die Sonne, und so konnten die Gäste auch auf die Terrasse treten.
Da das Lokal am Hang lag, hatte man von diesem Platz aus einen herrlichen Blick über die hügeligen Weinberge bis in den Taunus hinein, und mit jedem Atemzug konnte man die laue Luft genießen.
Es waren die Kollegen gekommen, um zu gratulieren. Die meisten gehörten dem BKA an, aber es gab auch welche, die aus den neuen Bundesländern eine längere Reise als ich unternommen hatten, denn auf den deutschen Autobahnen war es nicht anders als auf den englischen: Man musste immer mit Staus rechnen.
Ich hatte ein Glas Rheingauer Riesling mit auf die Terrasse genommen und genoss die Aussicht. Außerdem brauchte ich frische Luft, um mit ihr gegen das Völlegefühl in meinem Magen anzukämpfen. Wahrscheinlich hatte ich zu viel gegessen, aber es hatte auch zu gut geschmeckt. Leider musste ich das Dessert stehen lassen.
Lange stand ich nicht allein auf der Terrasse. Jemand hatte mich entdeckt und kam zu mir.
Es war Dagmar Hansen, die Frau mit den naturroten Haaren, die auf mich zuschlenderte und mich anlächelte. Das grüne Sommerkleid aus Leinen stand ihr gut. Es passte perfekt zur Farbe ihrer Augen.
Der warme Wind fing sich in ihren dichten Haaren, und als sie neben mir stehen blieb und mich aus ihren klaren Augen anschaute, nickte ich.
»Was meinst du, John?«
»Das hast du perfekt hingekriegt.«
»Danke. Harry hat sich auch wahnsinnig gefreut. Du bist so etwas wie ein Ehrengast.«
»Ach, hör auf.«
»Doch, John, doch. Und auch dass die Kollegen so zahlreich gekommen sind, hat ihn gefreut. Du weißt selbst, welche Probleme er in früheren Zeiten gehabt hat, anerkannt zu werden.« Sie hob die Schultern. »Er war jemand aus dem Osten. Beruflich fiel er in ein tiefes Loch, wovon er mir heute noch manchmal erzählt. Dann hast du ihm geholfen, ebenso wie Bill Conolly, den er auch hier gern gesehen hätte.«
»Das war leider nicht möglich. Bill hat sich eine Sommergrippe zugezogen. Er muss im Bett bleiben.«
»Ja, ich weiß.« Sie strahlte mich an. »Aber du bist hier, und das ist die Hauptsache.«
Ich winkte mit der freien Hand ab. »Nun mach mal keinen Personenkult aus mir, Dagmar. Da es meine Zeit erlaubte, war es für mich Ehrensache, dass ich hier erscheine.«
»Und wann fliegst du wieder zurück nach London?«
Ich atmete tief ein und wusste, dass ihr meine Antwort nicht passen würde. »Heute Abend noch.«
»Nein!«
»Doch.«
Sie zeigte einen betrübten Gesichtsausdruck. »Nein, John, kannst du dir das nicht noch mal überlegen?«
»Der Flug ist gebucht.«
»Lass ihn sausen. Buche um. Harry und ich haben uns auf einen schönen Abend mit dir gefreut. Ein Hotelzimmer zu bekommen ist kein Problem. Wir sehen uns so selten, und wenn, dann gibt es immer Ärger mit irgendwelchen Dämonen. Morgen ist auch noch ein Tag, und die Feinde laufen uns bestimmt nicht weg.«
»Das weiß ich selbst, aber London wartet auf mich und…«
Sie ließ mich nicht ausreden. »Wann hast du denn zum letzten Mal Urlaub gemacht, John?«
Ich musste lachen. »Urlaub? Was ist das?«
»Eben. Ich glaube nämlich, dass du gar keinen Urlaub gemacht
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