Vollmondstrand
das einzugestehen, aber er brauchte auch so etwas wie Mutterliebe. Das war schon in Ordnung gewesen. Bis jetzt.
Marti war Rosas ›LAP‹. Wenn er seine Sache als Lebensabschnittspartner außerordentlich gut machte, wäre er dann mein TopLAP oder mein LAPtop? Egal, das stand nicht zur Debatte, nicht in diesem Augenblick.
Das Leben mit Marti war nicht wirklich aufregend, aber turbulent genug, um sich über existenzielle Fragen hinwegzuschwindeln, wie: Ist es das, was ich will? Soll es immer so weitergehen? Aus ihrer Praxis wusste Rosa, dass es immer einen Grund gab, warum eine Frau gerade bei diesem einen Mann gelandet war: Sie hatte ihn verdient. Oder zumindest glaubte sie tief drinnen, ihn verdient zu haben!
In ihrer Freundinnenrunde waren die buntesten Spielarten an Beziehungen zu beobachten. Da war Maria, die seit 19 Jahren allein mit ihrem Sohn lebte und beteuerte, sie bekäme in der Minute die Krätze, sollte sie je aufwachen und der Mann in ihrem Bett würde sagen: »Ich liebe dich«. Oder Mona, die seit sieben Jahren in Scheidung Befindliche. Oder Elli, die zu gut war für die Männerwelt – und das selbiger in regelmäßigen Abschnitten kundtat. Oder Jana, die ihre erste Liebe mit knapp 18 geheiratet hatte. Oder Bibi, die Unabhängige, die nicht so genau wissen wollte, was ihr Liebster trieb, wenn sie ihn einmal nicht am Hals hatte.
Das Thema Kinder wurde in dieser Runde bestenfalls gestreift oder tauchte in eigenen Rückblenden auf. Alle sechs kannten einander schon seit dem Kindergarten. Rosa hatte keine schwerwiegenden Beziehungsthemen einbringen müssen, seit sie mit Marti zusammen war, und das war schon eine lange Zeit!
Für Rosa war alles glattgegangen, ja, sie war ganz zufrieden gewesen mit ihrem Leben – bis zu diesem Urlaub. Davor gab es keinerlei Anzeichen.
Am letzten Abend schoben sich schwarze Wolken vor den strahlend roten Sonnenuntergang und Rosas ausgewogenen Seelenfrieden. In stetem Tempo kroch das Schwarz immer näher. Der Wind hatte aufgefrischt am Vollmondstrand und mit ihm kam die Gewissheit, dass etwas fehlte. Nur – was? Noch ein paar Wochen Urlaub? Ein Tänzchen? Mehr Freiheit? Oder doch ein Kind?
Oh Gott, wie unpassend hatte sie es empfunden, als der Mann ihres Vertrauens begonnen hatte, ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem heißen Gesicht zu streichen. Wieso jetzt, wieso hier? Und überhaupt – ich will nicht! Nein, es passt doch alles, wie es ist, hatte sie versucht, sich selbst zu beschwichtigen.
Der Mann an ihrer Seite hatte sie angesehen, wie sie, sonnengebräunt und in einem Hängerkleidchen, vor ihm saß, die langen, dunklen Haare vom Wind zerzaust. »Fahren wir noch wohin? Ins Sansara oder ins km5?« Mit diesen Worten hatte er die beklemmende Stille durchbrochen.
Marti hatte geahnt, dass Rosa der verträumten Hippiehütte den Vorzug geben würde. Obwohl sie das andere Lokal mochte, befürchtete sie, zur Stunde könnten glücklich aussehende Familien mit blondgelockten Kindern dort dinieren. Das wäre zu viel happy family !
War es so einfach, hier ein gutes Leben zu führen? Meer und Sonne allein konnten es nicht ausmachen. Das gab es schließlich auch woanders. War es diese Mischung aus Fröhlichkeit, Alt-Hippietum und bodenständiger Gelassenheit, die ihr auf der Insel so gut gefiel? Ihr das Gefühl gab, hier wäre alles möglich?
Wenn sie Marti an jenem Abend betrachtet hatte, sah sie einen Mann, nicht mehr ganz jung, aber noch immer in Jeans, gestreiftem Leinenhemd und Sandalen, die langen, blonden Haare wie beiläufig zusammengebunden. Das Lederband samt Bergkristallanhänger, das sie ihm am Samstagsmarkt gekauft hatte, ließen ihn zum Anbeißen unkonventionell wirken. Ganz anders als zu Hause, wo er morgens im Anzug das Haus verließ. Das hatte sie bisher nie gestört. Das passte auch dorthin, in das Haus am See, frisch gestrichen, mit Fliegengittern und Alarmanlage.
Aber, Rosa seufzte bei diesem Gedanken, wenn sie auf der Insel eine Mutter mit ihrem Kind beobachtet hatte, waren ihr Lachen, Kosen und Natürlichkeit in den Sinn gekommen; zu Hause eher die Kindersitz-Montage auf der Autorückbank.
Nun also war Rosa wieder daheim, nur dass es sich diesmal nicht wie daheim anfühlte …
2
Das Telefon klingelte, Anastasia war dran. Ein Notfall, wieder einmal. Wenigstens war es schon Morgen. Rosa rieb sich die Augen. Es war acht Uhr.
»Hallo, Anastasia, ja, ein bisschen Zeit hab ich. Was gibt’s? Er hat sich nicht gemeldet …, na ja.« Rosa atmete tief
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