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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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die beiden Matrosen. Die standen starr, die Augen aufgerissen und die Münder halboffen. Erst verkrallten sich die Blicke auf der weißen Rundung ihrer Haut, dem braunen Hof, der sich im Wind zusammenzog, und sprangen dann hinauf zu ihrem Gesicht.
    Mary sah, dass Bartholomäus und Sohnrey begriffen: Marc, der Arzt, vor dem sie soeben die Hosen heruntergelassen hatten, war eine Frau. Den Kopf gesenkt, knöpfte sie das Hemd zu.
    Schweigend standen sie beieinander.
    Der Mann, der hinter ihr stand, nahm seine Hände von ihren Schultern. Die beiden Tahitianer traten beiseite und verschwanden im Dickicht der Insel.
    Marys Blick hetzte über die Bucht, suchte das Schiff, die Beiboote und den Sandstrand ab. Sie atmete auf. Carl war nirgends zu entdecken.
    Ihre Beine schmerzten, als sie sich erhob. Sie zerrte an der Weste und schloss die Knöpfe. Den Blick auf ihre Finger gerichtet, durchzuckte sie der Gedanke:
Da war noch jemand. Am äußeren Rand des Strandes stand noch jemand.
    Ihre Finger klammerten sich an der Weste fest, als sie den Kopf hob. Das gleißende Licht blendete sie, doch zweifelsfrei erkannte sie den Umriss seiner Schultern, die Haltung des Kopfes. Er stand dort und sah herüber. Sir Carl Belham sah zu ihr herüber.
***
     
    Sohnrey rannte den Strand entlang, dicht gefolgt von Bartholomäus, dessen Stumpf im Laufen auf- und absprang. Sie rannten Marc entgegen, der sich in den Büschen gegen zwei Wilde wehrte. Es war ein Durcheinander aus Armen und Händen, die miteinander rangen. Sofort lief Seth den beiden Matrosen hinterher.
    Plötzlich sah er eine Brust, eine weiße Frauenbrust.
    Jählings bremste er ab. Ein Rücken versperrte ihm die Sicht. Es waren nur Männer dort, er konnte keine Brust gesehen haben.
    Bartholomäus und Sohnrey hatten Marc und die beiden Wilden erreicht und blieben stehen. Sie zögerten, und nichts geschah. Als der Wilde, der ihm die Sicht versperrte, einen Schritt zurücktrat, sah er weiße Hände, die hastig ein Hemd über einer weißen Brust zusammenzogen.
    Seths Nackenhaare stellten sich auf.
    Ohne den Kopf zu wenden, rief Sohnrey nach Lukas. Seine Stimme donnerte den Strand herab, und der Seesoldat hetzte den Hang hinauf. Er hatte sich für die Frauen aufgeputzt, gut sah er aus in seinem roten Mantel, der weißen Hose und mit der Muskete im Arm.
    Als er die Gruppe atemlos erreichte, zeigte Sohnrey auf Marc.
    »Bring sie an Bord«, sagte er laut.
    Der Seesoldat schaute, als würde Sohnrey eine fremde Sprache sprechen. Die Muskete baumelte vor seinem Bauch.
    »Ich sagte, du sollst das Weibsbild an Bord schaffen.«
    Lukas fixierte Marc.
    »Ich sage dir, das ist ein Weib. Wenn du mir nicht glaubst, kann ich es dir beweisen.«
    Lukas schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Haar sich aus dem Zopf löste und in Strähnen umherflog.
    Sohnreys Arm schoss vor.
    Erschrocken wich Marc zurück, doch da hatte er schon das Halstuch gepackt und riss daran.
    »Siehst du? Ein Schwanenhals. Schlank und weiß. Kein Haar und kein Adamsapfel.«
    Seth fühlte, dass ihm schwindelig wurde, er kniete sich in den Sand.
    Die Männer setzten sich in Bewegung, langsam schritten sie dem Schiff entgegen.
    Als sie ihn passierten, wollte Seth den Kopf nicht heben und musterte den Stoff der Hosen. Zwei Beine in braunem Stoff vorweg. Ein Stück dahinter drei weitere Hosen, eine weiße, eine schwarze und eine graubraune.
    Im Gleichschritt liefen sie über den Strand. Die Muskete in die Höhe gerissen, schloss Lukas neben die Frau auf.
    Die Männer und die Wachen der Beiboote, die am Strand verblieben waren, bewegten sich nicht. Unergründlich schauten sie, wie die vier an ihnen vorbeizogen und die Jolle bestiegen, um zum Schiff zurückzufahren.
    Nat, er hat uns getäuscht. Er ist kein Mann, er ist ein Weib mit Titten! Eine Verräterin!
***
     
    Der Kapitän stand mit Rafael Peacock auf dem Achterdeck. Wieder besprachen sie eine Karte und zeigten zur Insel. Die Schritte ließen sie aufblicken.
    Die Schultern in die Höhe gezogen, blieb Mary vor Kapitän Taylor stehen. Eine Taubheit breitete sich in ihr aus. Niemand sprach ein Wort. Lukas hatte seine Waffe sinken lassen.
    »Was können wir für Euch tun?«, fragte Taylor.
    Mary richtete sich auf. »Ich bin eine Frau«, antwortete sie laut.
    Er schaute ihr, einige Wimpernschläge lang, ins Gesicht, direkt in die Augen. »Bringt sie in ihre Kajüte«, sagte er dann zu Lukas, während er die Karte in seinen Händen zusammenlegte. Die Finger strichen mehrfach über den

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