Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Falz, wobei die Nägel eine scharfe Kante im Papier hinterließen.
Der Astronom erinnerte Mary an einen Chorknaben, der böse Worte vernommen hatte. Die Augen aufgerissen, die Hand auf den Mund geschlagen, wippte sein Kopf federnd hin und her.
Mary wandte sich ab und stieg die Treppe zum Achterdeck hinauf.
Die Tür fiel hinter ihr zu, ohne dass das Geräusch sich entfernender Schritte erklang. Lukas blieb im Gang stehen. Durch das Bullauge schien Sonnenlicht und zeichnete einen hellen Streifen auf den Boden, der an ihren Füßen endete.
Das war es
, dachte Mary,
die Reise ist endgültig beendet.
Die Taubheit wollte nicht weichen, bis in den letzten Winkel ihres Körpers war sie vorgedrungen, stellte sie ruhig und ließ sie ertragen, was auf sie zukommen würde. Sie setzte sich auf die Seekiste und wischte mit der Hand über die Scheibe des Bullauges. Auf ihrer Haut blieb eine graue Schmutzschicht zurück.
Die Insel.
Sie lag vor ihr.
Arkadien.
Sie hatte sie erreicht.
Ihr Blick fiel auf zwei Seesoldaten, die mit einem Stock eine Linie in den Sand zogen. Einige Tahitianer leisteten ihnen Gesellschaft und beobachteten, wobei sie ausholend gestikulierten, das Geschehen. Die Seesoldaten vertieften die Linie, bevor sie sich, die Arme vor der Brust verschränkt, zwischen den Tahitianern und der Linie zur Schildwacht positionierten.
Im Hintergrund luden mehrere Männer derweil Werkzeuge und Messinstrumente aus. Toni lief mit einer Axt über den Strand, wählte einen Baum mit schlankem Stamm und schlug zu. Nach wenigen Hieben kippte er, und flugs wurden die Äste abgetrennt.
Dan lief den Strand herauf und zog den Stamm zur Linie. Mit einem der Männer, die die Schildwacht bildeten, rammten sie ihn in den Sand. Kurz darauf brachte der Zimmermann einen zweiten Stamm und setzte ihn an das andere Ende der Linie. Um seine Hüfte hatte er ein Seil gebunden, das er nun abknüpfte und zwischen den Pfosten aufspannte. Zufrieden betrachtete er die Grenzanlage.
Einer der Tahitianer zuckte die Schultern und wollte die Linie passieren. Doch da öffneten die Männer in den roten Mänteln ihre Arme und schubsten ihn zurück. Der Tahitianer stürzte in den Sand. Selbst auf die Entfernung konnte Mary den Unglauben in seinem Gesicht ausmachen. Der Mann erhob sich und schlug sich den Sand aus seinem Umhang, dann trat er vor und brüllte auf. Mit der flachen Hand schlug er dem Seesoldaten auf die Brust und zeigte hinter die Linie. Dann fuhr er herum und riss seinen Umhang in die Höhe: Blank hielt er seinen tiefschwarz tätowierten Hintern in die Luft. Mit den Händen klatschte er darauf und drehte sich drohend wieder den Seesoldaten zu, die hastig hinter der Begrenzung verschwanden.
Mary schüttelte den Kopf.
Wir haben zu viel von uns selbst im Gepäck. Zu vieles, was wir mit uns herumschleppen und nicht loslassen. Auch hier ziehen wir unerklärliche Grenzen und verweisen die
Menschen in Schranken,
dachte sie.
Auch hier ist es nicht anders als daheim.
Die Tür wurde geöffnet. Lukas bedeutete ihr, ihm zu folgen.
Du hast die Wahl,
beschwor sie sich.
Es ist Zeit, die Grenzen zu überschreiten und die Schranken hinter dir zu lassen.
Sie strich das Haar glatt, rückte den Hemdkragen zurecht und erhob sich.
***
»Wenn Ihr das wünscht, kann ich die Unterredung mit ihr alleine führen.« Kapitän Taylor lehnte sich auf dem Stuhl zurück, drückte seine Arme durch und drehte den Kopf in die eine Richtung, dann in die andere. Ein lautes Knacken war zu vernehmen. Er runzelte die Stirn und rieb sich das Genick.
Wenn du wüsstest
, dachte Carl,
es geht nicht nur um sie, es geht auch um mich. Ich werde bei dieser Unterredung dabeibleiben bis zum bitteren Ende.
Die Tür wurde geöffnet, und der Seesoldat ließ Mary eintreten. Sie war gekleidet wie in den vorangegangenen Tagen: Eine derbe Hose, ein leinenes Hemd, darüber eine Weste, nur das Halstuch fehlte. Und doch war etwas an ihr verändert: Ob ihr Gang schon immer so aufrecht gewesen war? Die Augen blickten dunkel und wachsam.
Furchtlos. Sie wirkte furchtlos.
Carl hob eine Augenbraue. Während seine Hände feucht geworden waren und die Unruhe seinen Leib zerwühlte, schien sie keinerlei Angst zu verspüren.
Kapitän Taylor erhob sich und wies auf einen Stuhl. »Verzeiht mir, aber meine Umgangsformen sind auf der Reise ein wenig eingerostet. Bitte nehmt Platz und teilt uns doch erst einmal Euren Namen mit. Ich gehe nicht davon aus, dass Ihr auf den Namen Marc Middleton
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