Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Eimer auf. »Du Hundesohn, lass ihn in Ruhe!« Freundlich legte er Dan den Arm um die Schultern und grub seine Finger in dessen Oberarm. Sie maßen einander, stumm, ohne einen Wimpernschlag. Als Nat seinen Griff lockerte, kehrte Dan zu seinem Eimer zurück.
»Lass uns weitermachen, bevor Vater herüberschaut«, sagte Nat. Er klang ruhig und unbekümmert, als schiene er nicht zu wissen, dass das Herz des Bruders wie eine Trommel schlug.
Seth griff nach dem Lappen und drückte ihn wieder in den Topf mit der schmierigen Paste, die er über das Messing zog.
Ein kleiner Mann kam den Landungssteg herauf, verharrte und blickte sich um. Dabei stellte er seinen weißen Leinensack ab, direkt in die Wasserlache, die nur langsam im blankpolierten Holz versickerte.
Geh weiter, mach schon,
dachte Seth.
Als ich an Bord kam und kurz herumstand, gab’s gleich ’ne Schelle.
Eilends sah er zu seinem Vater hinüber. Über seine Holzkladde mit den Listen gebeugt, stand er vor einem Matrosen, der ihn um gut einen Kopf überragte.
»Toppsgast Bartholomäus Kellington aus Bournemouth, Sir«, hörte er den Matrosen sagen.
Seth sah ihn sich genauer an. Das war also einer von den Toppsgasten, den Königen der Masten, den Männern, die die obersten Segel beherrschten. Der Mann hatte auch ein wenig Ähnlichkeit mit einem König. Gut sah er aus, so groß und stark.
»Habe ich Euch aufgefordert zu sprechen?«, brüllte der Vater und warf seine Holzkladde auf die Planken.
Seth, aber auch der Mann, der vor seinem Vater stand, zuckten zusammen.
»Dann haltet Euer Maul, bis ich Euch das Wort erteile.«
Sofort senkte der Matrose den Blick und zog die Schultern vor.
»Hebt das auf.«
Der Toppsgast rührte sich nicht. Seth wusste, der Vater würde ihn grün und blau prügeln, wenn er sich seinem Befehl widersetzte. Ein jeder an Bord beobachtete derweil die beiden. Dann ging der Matrose auf die Knie, suchte die Papiere zusammen, erhob sich mit noch immer gesenktem Kopf und gab sie dem Vater.
Ein flaues Gefühl breitete sich in Seths Bauch aus. Jeder der Neuankömmlinge hatte sich beim Dienstantritt an seinen Vater zu wenden. Und jeder an Bord wusste von diesem Augenblick an, dass der Bootsmann Kyle Bennetter hieß.
Hoffentlich fragt mich hier nie jemand nach meinem vollen Namen. Alle werden mich hassen, wenn sie wissen, dass er mein Vater ist. Und an mir werden sie’s dann auslassen.
Schnell nahm Seth seinen Lappen und drückte ihn in den Eimer. Gut, dass niemand sehen konnte, dass kein Wasser mehr darin war. Nat und Dan arbeiteten geschäftig und hatten seine Trödelei nicht bemerkt.
Bartholomäus Kellington verschwand.
Der kleine Mann, der hinter dem König der Matrosen gewartet hatte, verlangte nun, aufs Achterdeck gelassen zu werden.
Das ist also einer von den feinen Pinkeln, die es sich in den Kajüten gutgehen lassen. Die ordentliches Essen bekommen und nicht im engen Mannschaftsdeck hausen müssen.
In der ersten Nacht hatte Seth darauf gewartet, dass der Vatervor seiner Hängematte erscheinen und ihn mitnehmen würde. Dass er Nat und ihn in seine Kajüte holen würde und dass sie zu dritt in der engen Koje schlafen könnten. Doch der Vater war nicht gekommen, und Seth hatte in seiner Hängematte gelegen und den Bruder vermisst, der zur Wachschicht eingeteilt worden war.
»… das könnt Ihr vergessen!«, schrie sein Vater und begann wieder, einem Stier gleich zu toben. »Ich lasse kein Gesinde aufs Achterdeck, solange die Gentlemen nicht an Bord sind. Und jetzt verschwindet ins Mannschaftsdeck. Da geht’s lang!« Er zeigte zum Hauptmast, und der kleine Mann schlich zum Niedergang hinüber. Seth grinste. Sein Vater schickte den feinen Pinkel tatsächlich in das Mannschaftsdeck.
Ja, dem wird’s so gehen wie mir.
Und jetzt, als der Vater schwieg, vernahm er sie wieder: die schrillen Möwenschreie. Es waren sechs Vögel, die um das Krähennest ihre Bahnen zogen. Oder waren es sieben? Er trat einen Schritt zurück, um sie besser sehen zu können, und spürte, dass sein Fuß sich verfing. Bevor er begriff, was geschah, stürzte er. Mit den Rippen krachte er auf die Kante des Holzeimers, dass es ihm die Luft nahm. Als er zu atmen versuchte, hörte er nicht viel mehr als ein pfeifendes Geräusch, das seinem Mund entwich. Bevor er noch einmal nach Luft schnappen konnte, sah er das Gesicht seines Vaters. Direkt über sich. Rot und wutverzerrt. Die Hand des Vaters schoss auf ihn zu, und er spürte die Finger, die sein Ohr packten.
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