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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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Stone.
    Der Wirt knallte den Teepott auf den Tisch, und Mary nahm einen Schluck. Der Rum brannte in ihrer Kehle und ließ sie husten. Die Augenbraue des Wirtes hob sich fragend.
Wie gering eine Geste sein muss,
dachte sie,
dass man sich von ihr bedroht fühlt.
    »Geht schon.« Sie räusperte sich nicht, um die belegten Stimmbänder dunkel klingen zu lassen. »Ich hab noch nichts zwischen die Zähne bekommen. Das haut mir dann schnell auf den Magen.«
    Der Wirt schlurfte davon. Mit einer dampfenden Kartoffelsuppe kehrte er zurück und stellte sie ihr hin. Sofort nahm sie einen Löffel und fragte mit vollem Mund nach einem Zimmer.
    Der Wirt zog einen Schlüssel aus dem Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war, und forderte Vorauszahlung.
    Mary legte ihm die Münzen hin und ergriff den Schlüssel.
    »Halt«, sagte er.
    Ihr wurde heiß.
    »Wie heißten?«
    »Ma… Marc. Marc Middleton«, antwortete sie und kam sich verwegen vor. Intuitiv hatte sie entschieden, dass sie Marc Middleton heißen wollte. Middleton, Williams Nachname, würde sie auf ihrer Reise begleiten. Ein Allerweltsname, nichtssagend. Perfekt.

Plymouth, 16.   Juli 1785
     
    Auch am heutigen Tag hatte Ebenezer Stone Stellung hinter seinem Tisch bezogen. Mary trat dem bleichen Portier unter die Augen und bat darum, zu Sir Belham vorgelassen zu werden. Und es geschah – nichts. Marc Middleton wurde die marmorne Treppe hinaufgeschickt.
    Vor der dritten Flügeltür im ersten Stock blieb sie stehen, atmete tief ein und hob die zitternde Hand, um anzuklopfen. Der Mann, der ihr öffnete, sah sie erstaunt an.
    »Entschuldigt mich, man schickt mich zu Euch. Mein Name ist Marc Middleton. Ich wollte mich gern als botanischer Gehilfe vorstellen. Für die Expedition«, sagte Mary.
    »Oh, sehr erfreut. Ich bin Franklin Myers, der botanische Gehilfe von Sir Belham. Tretet ein. Darf ich Euch einen Tee anbieten?«
    Myers führte sie am Schreibtisch vorbei zu einem runden Tisch, auf dem ein Teeservice stand.
    Mary nahm Platz. Ihre Hände wurden feucht, während Myers Tee in ein Porzellantässchen goss.
    »Um es kurz zu machen«, begann er, »der Leiter der naturwissenschaftlichen Abteilung bestellt seine Mitarbeiter selbst. Und die Posten sind längst vergeben, auch die Mannschaft ist inzwischen vollständig. Unser Portier hat Euch dennoch zu uns verwiesen. Aber nicht, weil wir einen Gehilfen benötigen, vielmehr weil uns just der Zeichner ausgefallen ist. Er hat sich den Daumengebrochen, und wir könnten fähigen Ersatz gebrauchen. Das bedeutet, Mr.   Middleton, wenn Ihr Interesse an dieser Position hättet, würde ich gern Eure Mappe anschauen.«
    Der Puls rauschte in Marys Ohren, und sie hatte Mühe, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Oh, gern würde ich auch als Zeichner der Forschungsreise zu Diensten sein.«
Ich würde auch als Gepäckträger mitreisen,
überlegte sie, während sie die erste Zeichnung hervorholte.
Das ist meine Chance, Franklin Myers davon zu überzeugen, dass ich qualifiziert bin.
    »Das ist die Protea cynaroides. Hier könnt Ihr die fleischfarbenen Hochblätter der Blütenstände sehen. Dort sind die blassrosa Staubgefäße. Diese Protea-Art ist in Francis Massons Treibhaus in Kews Garden zu sehen, dem Treibhaus, in dem die Pflanzen vom Kap der Guten Hoffnung ausgestellt sind. Dort gibt es weitere Proteae. Oder seht hier: Dies ist eine der hundertvierzig Erica-Arten, die dort kultiviert werden. Oder die Pelargonien, es gibt fünfzig Arten im Treibhaus. Wartet, ich zeige Euch   …«, sagte sie und blätterte in den Unterlagen herum, bis Myers sie unterbrach.
    »Mr.   Middleton, ich verstehe, dass Ihr nervös seid, aber ich kann Euch versichern, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gibt.«
    Er hat recht
, bemerkte sie,
ich benehme mich wie ein überspanntes Weib
. Sie griff nach der Tasse und trank einen Schluck Tee, der inzwischen lauwarm war. Schweigend saß sie auf ihrem Stuhl, und ihr Blick folgte Myers’ Hand, die eine Zeichnung ergriff und sie hervorzog.
    »Ah, eine Amaryllis belladonna. Sehr gut getroffen«, hörte sie ihn sagen und neigte den Kopf zur Seite, um das Bild noch einmal genauer zu betrachten. Tatsächlich, es war ihr gut gelungen.
    »Ihr wart schon auf Exkursionen?«, fragte Myers, während er nun einen der Belege hervorzog.
    »Ja, Sir. Francis Linley hat mich ausgebildet und mehrere Exkursionen in das Umland mit mir unternommen. Mit dem botanischenArbeiten und dem Anlegen eines Herbariums bin ich

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